Heft 
Band 4 Heft 1/2
Seite
105
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OTIS 4(1996) 1/2: 78-143

Distanzen sind in Lettland unter Bedingungen, die für den Schreiadler günstig zu sein scheinen (hohe Siedlungsdichte), vergleichbar(SCHELLER, mdl.). Insofern kann nur gemutmaßt werden, ob die Aussagen von WENDLAND (1958), die für ein sehr kleines Jagdgebiet sprachen, unter damaligen(nahrungsgünstigeren) Bedingungen realistisch waren oder ob er mit der Methode der Telemetrie zu anderen Ergebnissen gekommen wäre. Heute sollten Nahrungsreviere, die erheblich über den ermittelten Größen liegen, als Warnsignal für ein reduziertes Nahrungsangebot verstanden werden(SCHELLER, mdl.). In den Jagdgebieten ist das Angebot und die Verfügbarkeit an Beutetieren wichtig. Eine wenig intensive landwirtschaftliche Nutzung wirkt sogar begünstigend, wie hohe Brutpaardichten in Ostpolen zeigen. Die dort gegebenen Verhältnisse mit hohem Dauergrünlandanteil bei starker Strukturierung der Landschaft dürften sowohl für ein breites Nahrungsspektrum als auch für den Beuteerwerb selbst optimal sein.

In der Nahrungswahl ist der Schreiadler innerhalb eines begrenzten Größenspektrums recht plastisch, wobei jahreszeitliche und regionale Unterschiede auftreten. Er erbeutet kleine Kerbtiere und Regenwürmer ebenso wie Maulwürfe oder Junghasen, Amphibien und Reptilien genauso wie junge Singvögel. Gelegentlich wird auch Aas angenommen oder bei anderen Greifvögeln parasitiert; letzteres könnte z. B. bei unter dem Horst gefundenen Wespenwaben der Fall gewesen sein. Den größten Teil der Nahrung stellen jedoch Kleinsäuger, besonders die Feldmaus(UTTENDÖRFER 1939, 1952, WENDLAND 1959, SCHELLER& MEYBURG 1995, eigene Ergebnisse). Der Anteil der Amphibien in der Nahrung wurde früher höher eingeschätzt, als aktuelle Video-Aufzeichnungen im Horstbereich(SCHELLER& MEYBURG 1996) zeigen. Möglicherweise war der Anteil in der Vergangenheit tatsächlich höher; zunehmende Melioration und"Grabenpflege" bis in die Gegenwart hat jedoch großräumig zur drastischen Abnahme der Amphibienbestände geführt. Die Betrachtung zahlreicher brandenburgischer Reviere zeigt, daß die Erschließung anderer Beutetiere für das Überleben vieler Brutpaare essentiell ist.

Ein wichtiger Aspekt ist die Erlangbarkeit der Beute. Hocheutrophes Saatgrünland zeigt nicht nur eine reduzierte Artenzahl, sondern erschwert auch aufgrund des dichten Wuchses bei sehr schnellem Wachstum der Pflanzen die Jagd zu Fuß, die beim Schreiadler zu den regelmäßig angewandten Jagdstrategien zählt. Auch aus dem Flug oder von Ansitzwarten sind potentielle Beutetiere bei großer Vegetationshöhe und-dichte nur schwer erreichbar. Unter diesen Umständen werden zeitweilig nahrungsoptimierte Flächen, wie z. B. frisch gemähte Wiesen, über große Entfernungen angeflogen. Hier kann es dann für kurze Zeit zu Ansammlungen von Schreiadlern kommen, die einen höheren Bestand vortäuschen(vgl. MUNDT& UHLIG 1992b).

4.3. Gefährdung

Im Gegensatz zu den anderen Adlerarten zeigt der Schreiadlerbestand in Mitteleuropa keinerlei Erholungstendenz. Die Art gehört zu den bedrohtesten Greifvögeln Deutschlands . Die wichtigsten Einflußgrößen auf den Bestand sind Veränderungen des Lebensraumes und direkte menschliche Nachstellung in den Durchzugsgebieten(SCHELLER& MEYBURG 1995).

Von der Seltenheit und besonderen Gefährdung der Art ausgehend erscheint der Schreiadler in der deutschen Roten Liste in der Kategorie"Stark gefährdet". Die Abstufung gegenüber der ersten Roten Liste ist nicht auf eine verbesserte Situation der Art zurückzuführen, sondern ging auf der Basis der neuen Bewertungskriterien davon aus, daß der Bestand zwar klein ist, aber in den letzten Jahren nicht deutlich abgenommen hat(WITT et al. 1996). In Brandenburg steht die