OTIS 4(1996) 1/2: 78-143
5.2. Lebensraumansprüche
Zwei Komponenten sind für das Vorkommen des Fischadlers essentiell: offene Wasserflächen mit verfügbarem Angebot an Fischen und eine vertikale Struktur, die in der Lage ist, einen Horst zu tragen. Sind diese beiden Anforderungen erfüllt, erweist sich der regional streng stenök erscheinende Fischadler in gesunden Populationen als eine sehr plastische Art, die auch menschliches Tun toleriert, solange ihr nicht nachgestellt wird. In POOLE (1989) finden sich hierzu eindrucksvolle Fotos und Beschreibungen. Hypothetisch ist aufgrund der dort gezeigten Horststandorte davon auszugehen, daß die Art in Mitteleuropa derzeit ihre ökologische Potenz noch nicht ausschöpfen kann.
Da die Revierweibchen ausschließlich mit der Brut und Aufzucht des Nachwuchses befaßt sind, halten sie sich bis zum Ausfliegen der Jungen ständig im engsten Horstbereich auf. Die männlichen Partner, denen die gesamte Ernährung der Familie obliegt, entfernen sich zur Jagd regelmäßig bis 6 km vom Horst(SCHMIDT et al. 1996). Dabei braucht das nächste Gewässer nicht jenes zu sein, in welchem tatsächlich gefischt wird. POOLE (1989) beschreibt Nahrungsgewässer in 8-12 km Entfernung vom Horst. HAKE(1996) fand sogar Entfernungen bis 15 km. Der Transport der Beute über eine solche Entfernung ist für Fischadler noch ausreichend effektiv. Gewässernähe optimiert jedoch den Horststandort im Sinne geringer Aktionsradien und einer daraus resultierenden längeren Anwesenheit des Männchens im Horstbereich. So wird eine optimale Feindabwehr realisiert.
Flüsse, Seen und Teiche jeder Trophiestufe eignen sich zur Jagd, soweit in erreichbarer Tiefe von maximal 1 m ausreichend Fische zur Verfügung stehen. Entgegen der häufig vertretenen Auffassung benötigen Fischadler keine großen Sichttiefen, denn infolge Eutrophierung steigt mit
der Dichte von Weißfischbeständen das Nahrungsangebot. Verminderter Sauerstoffgehalt des Wassers hat zur Folge, daß sich die Fische oberflächennah aufhalten. Beide Faktoren ersetzen in ihrer Wirkung auf die Verfügbarkeit potentieller Fischadlerbeute die Vorteile einer guten Wasserqualität. Ein gutes Beispiel hierfür sind hypertrophe Fischteiche. Nach Untersuchungen von SCHNURRE(1961) wogen 75% der erbeuteten Fische unter 200 g. Solche mit bis zu 700 g Körpermasse stellen Ausnahmen dar. Diese Beutetierlisten belegen, daß sich Fischadler in der Auswahl der Fischarten opportunistisch verhalten; die häufigsten Fischarten in der entsprechenden Größenklasse bilden auch die Basis der Ernährung. Die Uniformierung der Fischfauna durch fortschreitende Degradation der Gewässer zeigt sich auch im Vergleich der von SCHNURRE(1956, 1961) gesammelten Beutereste mit aktuellen Daten (Naturschutzstation Woblitz): seltene und anspruchsvollere Fischarten fehlen heute, der Anteil des Hechtes ist gesunken. In der seenreichen Landschaft Nordbrandenburgs wurde in fünf Jahren bei über 70 Horstkontrollen in mehr als 30 Horsten folgende Beutezusammensetzung festgestellt:
113 x Blei(Abramis brama),
19 x Flußbarsch(Perca fluviatilis),
16 x Schlei(Tinca tinca),
13 x Karpfen(Cyprinus carpio ),
3 x Plötze(Leuciscus rutilus),
2 x Rotfeder(Scardinius erythrophtalamus).;| Ein noch höherer Anteil an Bleien ist anzunehmen, da die teils gewaltigen Mengen von Fischschuppen der häufigsten Arten für den Bearbeiter oft nicht quantifizierbar waren. Die