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Band 7 Heft 1/2
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112 BESCHOW, R.: Erneut starker Jungvogelwegzug des Zwergstrandläufers und anderer Limikolen 1998

den letzten Jahren ist zu verzeichnen, daß trotz des Trends sich verschlechternder Rastplatzverhältnisse und trotz des Verlustes von traditionellen Rastplätzen(MÄDLOW 1993) mehr Limikolen in Brandenburg gezählt werden. Hieraus Schlüsse auf mögliche Veränderungen im Zugverhalten oder gar auf Populations­entwicklungen zu ziehen, verbieten sich schon aus dem Fakt, daß unsere Kenntnisse zu Populationseckda­ten der einzelnen Arten zu gering bzw. zu ungenau sind. Außerdem dominiert im Binnenland der Jungvo­gelzug, der weniger Aussagekraft zur Bestandssituation einzelner Arten hat. Auch wenn der Stichproben­umfang gering ist, so ist offensichtlich, daß auch die Nachweise heim- und wegziehender Altvögel einiger Strandläufer derzeitig in Brandenburg zunehmend sind. Die Konzentrationeffekte durchziehender Limiko­len auf wenige Gebiete in Brandenburg sind unverkennbar. Begünstigend auf die jährlichen Beobach­tungsergebnisse der letzten Jahre wirkt aber auch, daß die gewonnnene Mobilität, die optische Ausrüs­tung, die Artenkenntnis und das Interesse zur Gemeinschaftsarbeit der Beobachter deutlich gestiegen sind und ergebniswirksam sein können.

Für den Zwergstrandläufer werden seit Beginn der 1990er Jahre deutlich steigende Gebietsmaxima im Land Brandenburg registriert. Insgesamt ist auch die durchziehende Individuenzahl steigend. Der bei HAUPT& NOAH(1997) dokumentierte und diskutierte AEinflug 1996A wiederholte sich 1998 auf prak­tisch gleichem Niveau. Der erneut sehr starke Durchzug 1998 wurde analog 1996 in weiten Teilen Deutschland deutlich. Der Wegzug an der pommerschen Ostseeküste erreichte im Raum Greifswald am 14.09.1998 erneut Tagesmaxima von bis zu 1345 Ex. im NSG Karrendorfer Wiesen(Ornitholgische In­formation 3/98 des OAMV). Auch an binnenländischen Rastplätzen in anderen Bundesländern wurden erneut größere Trupps gezählt. So z.B. in den Rieselfeldern Münster mit 90 Ex. am 19.09.1998(MANN 1999) oder mit 98 Ex. am 13.09.1998 am Helmestausee(Jugendclub Museum Heineanum Halberstadt ). Ob die kurzfristige Wiederholung des starken Auftretens juv. Zwergstrandläufer neben dem guten Bruter­folg auch eine Westwärtsverlagerung des Zugweges bedeutet, wie beim Einflug 1996 bei DIERSCHKE et al.(1997) angenommen, ist nicht sicher zu begründen. Betrachtet man die Vorkommenssituation des Zwergstrandläufers in Mitteleuropa längerfristig, so sind mehrfach vermeintlich außergewöhnliche Ein­flüge in verschiedenen Ländern Europas in den letzten 50 Jahren registriert worden(HARENGERD et. al. 1973, GLUTZ v. BLOTZHEIM et. al. 1975; MELTOFTE 1993). So dürften die Einflüge 1996 und

1998 in Deutschland eher der arttypischen Populationsdynamik des Zwergstrandläufers und seines variie­renden Breitfrontenzuges zuzuschreiben sein. Ob die Aussage bei GLUTZ v. BLOTZHEIM et al.(1975) noch gelten kann, daß der Zwergstrandläufer einen WSW-gerichteten Zug ohne ausgeprägte Küstenbin­dung zeigt, ist zumindest seit den 70er Jahren mit dem registrierten Durchzuggeschehen in Dänemark und den Feststellungen in Deutschland zu überdenken(MELTOFTE 1993). Vor rund 20 Jahren erregte das Massenvorkommen einer ganz anderen Ordnung von Vögeln im Binnenland Aufsehen und ist seitdem mit zahlreichen Wiederholungen zu einem fast normalen Bestandteil des Wegzuggeschehens geworden- die Massendurchzüge des Prachttauchers, Gavia arctica(CREUTZ 1982; ULBRICHT 1980; HAUPT 1981, 1993; BESCHOW 1996). Die jetzige Vorkommenssituation des Zwergstrandläufers mit seinen großen Individuenzahlen in Mitteleuropa ist zwar nicht direkt vergleichbar, kann aber als weiteres Beispiel

dafür angesehen werden, daß sich das Zuggeschehen gerade der häufigeren nordischen Brutvögel durch­aus sehr dynamisch und flexibel gestalten kann. Betrachtet man den Zeitraum der planmäßig relativ gut erfaßten Durchzugsituationen für Deutschland , so wird man zugeben müssen, daß noch vor 30 Jahren nur bruchstückhaft das Zuggeschehen erfaßt wurde. Die heute besonders auffälligen intensiven Zugjahre wur­den sehr wahrscheinlich früher meist nicht erkannt. Im Teichgebiet Peitz wurden am 25.08.1931 z.B. im­merhin etwa 60 Zwergstrandläufer gezählt, eine Anzahl, die erst in den 1990er Jahren in der Region wie­der bekannt wurde. Die Beobachtung ist aber ein Hinweis darauf, daß auch früher schon Einflugjahre vor­gekommen sein müssen(WOHLFAHRT 1941).

Der entscheidende Faktor Bruterfolg für die jährlich stark schwankenden Individuenzahlen ist unstrittig. HAUPT& NOAH(1997) diskutieren ausführlich die Verbreitungssituation des Zwergstrandläufers und dessen offensichtlich außergewöhnliche Reproduktionsstrategie. Gute bis sehr gute Bruterfolge in den Schwerpunktverbreitungsgebieten der einzelnen Arten bestimmen die Häufigkeit durchziehender Jungvö­gel pro Jahr. Eine Überbewertung der auffälligen Schwankungen ziehender dj. Vögel erscheint auf Grund der zyklischen, z.T. explosionsartigen Bestandszunahmen und der bekannten, nomadisierenden Lebens­

weise von Teilpopulationen nicht angebracht. Der Limikolenzug in Brandenburg ist derzeitig das Spiegel bild der jährlichen Zugverhältnisse an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Nur die Größen­

ordnung muß um mindestens eine Zehnerpotenz niedriger angesetzt werden.