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Band 7 Heft 1/2
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OTIS 7(1999); 134-153 147

und daher möglicherweise relativiert werden muß. So wurde aus einigen Gesprächen deutlich, daß rufende Grauspechte pauschal als Männchen notiert wurden. Offensichtlich herrscht mitunter Unklarheit darüber, daß beide Geschlechter(sofern unverpaart) über dasselbe Repertoire an akustischen Signalen verfügen und in etwa gleicher Häufigkeit hervorbringen(vgl. z.B. CONRADS 1980, BLUME 1981, SÜDBECK 1991). Hinzu kommt, daß sich die Geschlechtsbestimmung im Feld z. T. extrem

schwierig gestaltet und oft nicht möglich ist(P. Südbeck, briefl; eigene Beob.). Ferner haben rufende Vögel aufgrund der oben beschriebenen Rufaktivitätsverteilung eine höhere Erfassungswahrscheinlich­keit, weshalb diese Darstellung mit Vorbehalten behaftet ist.

6. Diskussion 6.1. Historie und Bestandsentwicklung

Die ersten Mitteilungen über Grauspechte in der Mark Brandenburg reichen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück(z.B. SCHALOW 1919). Handelte es sich dabei zumeist um isolierte Einzelbeo­bachtungen, wurde wohl nach Hocke 1899 eine Bruthöhle mit Eiern gefunden(ANNONYMUS 1899, 1900). Da aber weder eine Ortsangabe, noch genaue Befunde über die Umstände bekannt wurden, bezwei­felte KALBE (1983) die Meldung indirekt und führt sie zu recht nicht als ersten definitiven Brutnachweis für die Mark auf.

Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Grauspecht während dieser Zeitspanne zu den selte­nen Brutvögeln der brandenburgischen Avifauna gezählt haben könnte. So wurden nach SCHALOW (1919) auch Einzelbeobachtungen von Paaren bekannt. Zudem dürften die damaligen Habitatverhältnisse in den noch großflächiger dominierenden Laubmischwäldern eine sporadische Besiedlung durch den Grauspecht begünstigt haben. Einen weiteren Hinweis diesbezüglich liefert ein offenbar glaubwürdiger Brutnachweis aus dem Jahr 1849 für das nördlich angrenzende Mecklenburg KUHK(1939; zit. in KLAFS & STÜBS 1983).

Alle daran anschließenden Meldungen bis etwa dem Ende der 1970er Jahre wurden von KALBE (1983) zusammenfassend dargestellt. Mit Ausnahme der bereits erwähnten Reviernachweise eines unverpaarten Männchens im Stechlinseegebiet(z.B. FLÖSSNER 1966), war dieser Zeitraum ausschließlich von Einzel­feststellungen geprägt, und in keinem Fall gab es Beobachtungen von Paaren bzw. Brutverdachtsmomente (KALBE 1983). Somit entbehren die Angaben in der kurzen Artenliste von DITTBERNER, H.& W. (1975) über ein angebliches Brüten des Grauspechts im Schlaubetal jeglicher Grundlage. Dies führte zur Statusangabe eines gelegentlichen Gastvogels in Brandenburg (KALBE 1983).

Daher war zunächst nicht zu erwarten, daß der Grauspecht binnen 15 Jahren ein regelmäßiger Brutvogel Brandenburgs werden würde(vgl. auch Dürr et al. 1997). Gegenwärtig sind drei Regionen schwerpunkt­mäßig von Grauspechten besiedelt, in denen jeweils ein Brutnachweis glückte. Es sticht hervor, daß diese Areale ausnahmslos von mehreren Vögeln(und offenbar auch von mehreren Paaren)

bewohnt werden und sich folglich kleine, räumlich voneinander getrennte Lokalpopulationen festigten. Darüber hinaus weisen alle Schwerpunktgebiete aktuell positive Bestandstrends auf. Unter Berücksichti­gung der geschilderten Erfassungslücken, dürften sich die erzielten Ergebnisse bei entsprechend intensi­ven Kartierungen noch deutlich erhöhen.

Insofern handelt es sich um etablierte Vorkommen mit derzeit wachsenden Beständen, die im Gegensatz Zu temporären Einzelbruten weit nördlich der bekannten Arealgrenzen(z.B. SIEVERS& SÜDBECK 1990) keinem akuten Aussterberisiko unterworfen sind(vgl. BRANDT& SUDBECK 1998). Allerdings können aufgrund der nach wie vor relativ geringen Individuenzahl Einzelereignisse wie Todesfälle, Le­bensraumzerstörung etc. zu lokalem Erlöschen der Bestände führen. Gleichwohl ist diese positive Ent­Wicklung besonders überraschend, wird doch aus vielen Regionen des mitteleuropäischen Verbreitungs­gebietes über drastische Bestandseinbußen, regional auch über vollständige Aufgaben von Brutplätzen berichtet(z.B. BAUER& BERTHOLD 1996, CONRADS 1980, D. SAEMANN in STEFFENS et al. 1998). Allerdings kam es im Rahmen dieser massiven Bestandsrückgänge aus bisher ungeklärten Gründen Zu einer Zunahme einschließlich der Eroberung neuer Brutplätze nördlich der eigentlichen Arealgrenzen. Drei Beispiele mögen diesen Sachverhalt verdeutlichen: