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Schriftenschau
Dorscy, H.(2010): Zur Biometrie von Kleinvögeln. Mitt. Verein Sächs. Ornithol. 10, Sonderheft 2. 275 S. ISBN 978-3-9811497-1-5. Bezug: ernst@vso-web.de(2)
Das Thema„Biometrie von Kleinvögeln“ wird manchem Feldornithologen auf den ersten Blick nicht gerade spannend erscheinen. Sind nicht alle Vogelmaße längst bekannt? Harald Dorsch zeigt, dass es trotz jahrzehnte-, ja jahrhundetalter Messtradition noch viel Interessantes zu entdecken gibt. Die Arbeit behandelt 65 Vogelarten und beruht auf Daten von 35.000 Vögeln, die der Autor seit den 60er Jahren selbst im Leipziger Raum bei der Beringung erhoben hat, und auf weiteren 25.000 von H. Stein in der Umgebung von Magdeburg vermessenen Vögeln. Im speziellen Teil und in Anhängen werden für jede Art Flügellänge, Flügeldiagramm, Schwanzlänge und Gewicht angegeben, oft nach Alter und Geschlecht, Jahres- oder Tageszeiten(Gewicht) differenziert. Bei mehreren Arten werden Veränderungen der Maße im Verlauf des Lebens beschrieben. Im Anschluss an die Artkapitel wird ein Überblick über das gesamte Artenspektrum gegeben, in dem unter anderem alters- und geschlechtsspezifische Maßunterschiede, Flügeldiagramme und individuelle Variation des Körpergewichtes diskutiert werden.
Besonders interessant sind zwei einleitende Kapitel, in denen die Zunahme des Gewichts im Tagesverlauf und über die Veränderungen der Körpermaße in den letzten 30 Jahren behandelt wird. Vor allem der zweite Artikel gibt viele Denkanstöße. Unter 32 untersuchten Arten haben die Flügellängen bei immerhin 14 Arten signifikant zugenommen und nur bei einer Art(Rohrammer) abgenommen. Zusammenhänge der Flügellänge mit den Umweltbedingungen werden diskutiert. Beispielsweise nahm die Flügellänge von Teichrohrsängern in den 60er Jahren, als es besondere Dürreprobleme in der Sahelzone gab, ab(Teichrohrsänger mausern ihre Schwingen im Winterquartier). Danach wurde wieder eine Zunahme beobachtet. Kann die Flügellänge als Maß für die Fitness der Vögel und für Umweltbedingungen im Winterquartier herangezogen werden?
Otis 17(2009)
Man wünscht sich unwill
kürlich die Überprüfung
mancher Aussagen mit Hil
fe weiteren Datenmaterials,
etwa aus dem Datenspeicher
der Beringungszentrale Hid
densee. Denn die Publikation
lässt doch noch einige Fragen
offen. Zwar wird die Gesamt
datengrundlage genau angegeben, aber die Zuverlässigkeit einzelner Jahreswerte bleibt meist unklar. Wenn man z. B. bei der Gewichtsentwicklung liest, dass nur Jahre mit mehr als drei Feststellungen berücksichtigt wurden(Abb. 11, S. 55), fragt man sich sofort, wie viele der Durchschnittwerte vielleicht auf nur vier Vögeln beruhen und damit immer noch recht wenig aussagekräftig sein könnten. Auf eine statistische Prüfung der Daten wird in vielen Fällen verzichtet. Eine ganze Reihe von Abbildungen zeigt lineare oder polynomische Trendlinien, aber nicht die Datenpunkte, aus denen sie errechnet wurden und die die Zuverlässigkeit der Trendlinien anschaulich gemacht hätten. Überhaupt sind Beschriftungen und Erläuterungen der Diagramme häufig unbefriedigend. Ich habe manchmal erhebliche Probleme gehabt, die Legenden zu verstehen. Teilweise ist mir dies nach Abgleich mit Text und Messwerten geglückt, aber der Inhalt mancher Diagramme blieb mir unverständlich. Der Autor hat sich zu wenig Mühe gemacht hat, die Abbildungen auch für Leser leicht verständlich zu machen, die nicht so tief im Stoff stecken wie er selbst.
Das Buch kann als Lebenswerk des begeisterten Vogelberingers Harald Dorsch aufgefasst werden, der die Publikation nicht mehr erlebt hat. Es zeigt, wie viel interessante Information die Auswertung von Daten ergeben kann, die leider üblicherweise im Datenfriedhof in Tagebüchern oder Datenbanken schlummern. Trotz einiger Schwächen in der Darstellung und der statistischen Absicherung der Ergebnisse bietet das Buch einen bemerkenswerten Fundus an detaillierten Grundlagendaten und zahlreiche Anregungen für biologische Fragestellungen, die sich aus ihnen ergeben.
Wolfgang Mädlow