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Band 20
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Eine klare Zuordnung in die genannten Hauptka­tegorien erfolgt durch die jeweiligen Beobachter manchmal unsicher und willkürlich, z. B. wenn fließende Übergänge existieren oder weil mehrere Aberrationsformen in Kombination vorliegen.

Die bei Vögeln auftretenden Farbaberrationen werden auch bei Vertretern anderer Tierklassen ge­legentlich beobachtet(z.B. Tagfalter).

2. Allgemeines über Entstehung und Funktion von Farben und Mustern im Gefieder

Mit der Vogelfeder hat die Natur ein Hautgewebe von ungewöhnlicher Kompliziertheit geschaffen. Die Feder übertrifft alle anderen tierischen Hautgebilde in der Mannigfaltigkeit der Formen und im Reichtum der Farben und Muster. Die Farbwirkung wird von schwarzen, braunen, roten und gelben Pigmenten und von Farbeffekten der selbst aber farblosen Hornstruktur der Feder erzeugt. Jene farblose Hornsubstanz, gefüllt mit Lufthohlräumen, bewirkt eine allseitige Streuung und Reflexion des Sonnenlichtes, wodurch Federn ohne Pigmente dem menschlichen Auge weiß erscheinen. Ist unter der trüben Hornstruktur schwarzes Pigment gelagert, werden die blauen Wellenlängen des sich brechenden Tageslichtes sichtbar. Werden von den blauen Lichtstrahlen gelbe Pigmente durchflutet, ergibt sich für den Betrachter eine Illusion in Grün. Ist statt dem gelben ein rotes Pigment eingelagert, erscheint die Feder violett gefärbt(RUTSCHKE 1966).

Jeder Vogel durchläuft im Laufe seines Lebens verschiedene genetisch fixierte Kleiderstadien vom unscheinbaren Jugendkleid bis zum ausge­färbten Alterskleid. Viele Arten wechseln jährlich ein schlichtes Winterkleid mit einem prächtigen Sommerkleid und umgekehrt. Zudem gibt es bei manchen. Arten einen ausgeprägten Geschlechts­dimorphismus des Gefieders zu bewundern. Meist sind die Männchen viel bunter als die in der Brut­zeit auf Tarnung angewiesenen Weibchen. Einige Artengruppen haben zu bestimmten Anteilen helle und dunkle Färbungstypen(Morphen) hervorge­bracht. Von größter Bedeutung ist der funktionelle Zusammenhang zwischen Färbung und Gefieder­zeichnung eines Vogels und dessen Sozial- und

Otis 20(2012)

Zugverhalten, welches wiederum vom Verteilungs­modus der Nahrung und der Kontinuität ihrer Verfügbarkeit abhängt. Bestimmte Zeichnungs­schemata erfüllen besonders während der Balz eine wichtige Signalfunktion. Standorttreue- fremden Artgenossen intolerant begegnende- Arten, wie z.B. unser Habicht Accipiter gentilis , zeigen im Al­ter auf Brust und Bauch eine markante Querbän­derung, bezeichnet alsstationäres Distanzkleid, die eine drohende und einschüchternde Wirkung auf Revierkonkurrenten ausübt. Viele Strich- und Zugvögel, deren Territorialverhalten mit dem Verlassen des Brutgebietes schwindet, sind ge­kennzeichnet durch einmobiles Distanzkleid, charakterisiert durch längs zur Körperachse ver­laufende Fleckung oder Strichelung auf der Rumpf­unterseite. Ebenso präsentiert auch der jugendliche Habicht diese vermindert aggressionsauslösenden Zeichnungsmerkmale. Signalzeichnungen von in der Fortpflanzungszeit stationären Arten, die in den übrigen Jahreszeiten weit umherstreifen und eine gesellige Lebensweise annehmen, weisen den geringsten Distanzierungsgrad in den einzelnen Kleidern auf. Für den mausernden Vogel beste­hen zwei Möglichkeiten, distanzierend wirkende Zeichnungskontraste weiter abzuschwächen. Das zu erneuernde Federkleid muss entweder heller oder dunkler ausgebildet werden, so dass Zeich­nung und Grundfärbung verschmelzen. In der hei­mischen Vogelfauna finden wir bei Mäusebussard Buteo buteo und Wespenbussard Pernis apivorus regelmäßig Paare, bei denen ein Partner eine weiße und der andere eine vorwiegend braune Körperfär­bung zeigt. Ein gleichwertiges Nebeneinander bei­der Morphen ist also möglich, vorausgesetzt keiner dieser Färbungstypen wird durch Umwelteinflüsse gravierend benachteiligt(BAuMGArT 1974).

Bereits Charles Darwin (STERNE 1906) erkannte die wesentlichen Grundzüge, nach denen sich alles Lebendige auf der Erde entwickelt und dass sich in Größe, Körperbau, Färbung und Verhalten homogene Organismusgruppen bei geographischer Isolation über Jahrmillionen immer unähnlicher im Aussehen werden. Auch wenn es uns nicht auf den ersten Blick auffällt, ist doch jede Art durch eine mehr oder minder große individuelle Variationsbreite charakterisiert. Die unablässig wiederholte Produktion von Variabilität und