Heft 
Band 21
Seite
75
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3.6 Jungenentwicklung und Nestlingsdauer

Im Jahr 1990 wurde mit Hilfe einer 50g-Pesola­Waage das Gewicht(Körpermasse) von altersmäßig determinierten Nestlingen in sechs Nestern bestimmt. In einem Nest wurden die vier Nestlinge(darunter ein Nesthäkchen) im Abstand von1 Tag noch einmal gewogen. Diese hatten im Mittel einen Massezuwachs von 1,6g erreicht. Die bei gleichaltrigen Nestlingen ermittelten Gewichte streuten stark(Abb. 6 blaue Punkte). Das Aus­fliegegewicht lag bei etwa 15g.

Dieser Wert liegt unter dem, der im Herbst bei 15 adulten und zehn diesjährigen Individuen bestimmt wurde. Der Median des Gewichtes betrug 18,2g(n=25). Extremwerte wiesen zwei Diesjährige auf: 15,3 g am 4.August, also wohl kurz nach dem Ausfliegen, und 22,7 gg am 30.September.

Völlig aus dem Rahmen fällt die Gewichts­entwicklung einer Sechserbrut Mitte Juli 1990. Sie scheint zumindest bis zum 10. Lebenstag theoretisch einer exponentiellen Wachstumskurve zu folgen(rote Linie in Abb. 6), wobei die Gewichte deutlich unter denen der Nestlinge aus den übrigen Bruten blieben. Bei dieser Brut war der Schlupftag der ältesten drei Nestlinge genau bekannt, während die anderen drei Nestlinge ein bzw. zwei Tage jünger geschätzt wurden.

Solche recht großen Unterschiede in der Ge­wichtsentwicklung gleichaltriger Nestlinge bei Bluthänflingen haben schon RHEINWALD(1973) und Frey(1989) aufgezeigt. Dabei ermittelte RHEINWALD (1973) eine optimale Wachstumskurve, deren Asymptote bei 16 g lag(Gewicht beim Ausfliegen). Nach seiner Meinung hatte der Bluthänfling eine durch Außenfaktoren wenig beeinflusste Gewichts­entwicklung, was sich in den vorgestellten Mittel­wertskurven aller untersuchten Bruten aber eigent­lich anders darstellte. Frey(1989), die detailliert verschiedene Aspekte der Brutbiologie des Blut­hänflings unter den Einflüssen des Gebirgsklimas untersuchte, fand heraus, dass die starke Streuung der Gewichte gleichaltriger Nestlinge durch unter­schiedliche Wachstumsraten bei frühen Bruten(bis 25.6.) gegenüber späten(26.6.-31.7.) hervorgerufen wurde. Sie erklärte das mit einer Nahrungsum­stellung im Verlaufe der Brutsaison ab Ende Juni, die zu einer schnelleren Gewichtszunahme führte.

Otto: Brutökologie des Bluthänflings in Berlin und Brandenburg 75

18 y=-0,0193x®+ 0,2621x?+ 0,6643x+ 1,7

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Abb. 6: Gewichtsentwicklung junger Bluthänflinge (n=6 Nester). Fig. 6: Chronological development of the weight of Linnet

nestlings(n=6 nests).

Darüber hinaus konnte sie anhand von zeitlich pa­rallelen Messungen einen ständig größeren Rück­stand in der Gewichtszunahme bei fünf Nestlingen in einem Nest gegenüber den vier Jungen in einem zweiten Nest feststellen. Insgesamt ergaben sich auf der Riederalp bei der Gewichtsentwicklung von Nestlingen für die Junidaten deutlich geringere Werte als im Raum Bonn ermittelt wurden.

Eine plausible Erklärung für unsere Feststellung der Sechserbrut mit den sehr geringen Gewichten (s. o.) lässt sich nicht finden. Nur die Brutgröße und eventuell der Ausfall eines Elternteiles bei der Versorgung könnte eine Rolle gespielt haben. Ein Blick in die Ergebnisse anderer Studien zeigt aber, dass ein geringeres Wachstum bei großen Bruten völlig normal sein kann. So wiesen junge Kohl- und Blaumeisen in Bruten mit 1-5 Jungen bereits mit zehn Tagen im Mittel das Gewicht auf, das Junge dieser Arten in Bruten mit 29 Nestgeschwistern erst mit 15 Tagen erreichten(WinkeL 1970), was bei diesen großen Unterschieden in der Zahl der Nestgeschwister auch wahrscheinlicher wirkt als in unserem Fall beim Bluthänfling.