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nug gewürdigt werden. Die Arttexte- durch ein bisher einzigartiges Online-Beteiligungsverfahren von zahlreichen Fachleuten durchgesehen und ergänzt— sind sehr informativ und gehen weit über eine bloße Kartenbeschreibung hinaus.
Schwachpunkt des Atlas sind sicher die Modellierungen bei den häufigen Arten, die vielfach nicht recht gelungen sind. Die Autoren geben ihr Bestes, um die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen und mit realen Kartierungsdaten— die aber bei diesen Arten stets nur für einen kleinen Teil der Fläche vorliegen- zu vergleichen. In manchen Fällen stimmt das einigermaßen gut, in anderen überhaupt nicht überein. Beispielsweise bildet die Modellkarte das Häufigkeitsgefälle der Heckenbraunelle von West nach Ost nicht ab, und der Süden Brandenburgs müsste laut Modellierung vom Waldbaumläufer weitgehend unbesiedelt sein. Man fragt sich immer, ob und wieviel die Modellkarten mit der Realität zu tun haben. Ursache ist sicherlich, dass die erfassten Habitat- und Umweltdaten nicht in vollem Umfang diejenigen Faktoren widerspiegeln, die Verbreitung und Häufigkeit der Arten kleinräumig bestimmen. Man wird bei späteren Kartierungen besser dazu übergehen, einen größeren Anteil auch der häufigeren Arten im Feld zu erfassen. Bei wirklich häufigen Arten findet aber auch das seine methodischen Grenzen.
Eine große Bereicherung stellen die Grafiken zur Bestandsentwicklung dar, die die aktuellen Angaben in einen zeitlichen Rahmen stellen. Der DDA kann bei vielen häufigen Arten auf nunmehr fast zwanzigjährige Datenreihen zurückgreifen, bei seltenen Arten auf noch ältere Daten— eine tolle Sache. Die Darstellung ist allerdings nicht optimal. Bei allen Arten wird ein Bestandsindex angegeben, für den der Bestand des Jahres 2006 auf 100 normiert wird. Bei häufigen Arten aus den Monitoringprogrammen ist das die übliche Darstellungsweise— es fehlen aber die sonst üblicherweise auch dargestellten Standardfehler, die doch einen guten optischen Hinweis
Otis 22(2015)
auf die Genauigkeit und damit Zuverlässigkeit der Daten geben. Bei seltenen Arten, bei denen jährliche Bestandsdaten vorliegen(z.B. Basstölpel u.a.), erschwert die Indexdarstellung die Lesbarkeit der Kurve. Hier wäre es viel besser gewesen, wenn man die Bestände direkt aus der Grafik ablesen könnte. Weiterhin fehlt jede statistische Auswertung wie Trendberechnungen oder Signifikanztests. Sie werden ersetzt durch kurze verbale Klassifizierungen (z.B.„moderate Bestandsabnahme“), die nicht definiert sind und nicht besonders konsistent angewendet worden zu sein scheinen.
Diese kleine kritische Anmerkung tritt allerdings völlig zurück hinter dem Guten, Wertvollen und Neuen, das dieser Atlas enthält. Auch die lange Wartezeit wird durch das Ergebnis gerechtfertigt. Zu kritisieren ist hier nur die mehrfache voreilige und nicht eingehaltene Ankündigung von Erscheinungsdaten, nicht die Bearbeitungsdauer selbst. Denn zum einen hält sie sich durchaus im Rahmen vergleichbarer Projekte, zum anderen beruht sie auf dem Bestreben, bestmögliche und mit anderen Programmen abgestimmte Daten zu präsentieren. Und man darf nicht vergessen, dass die Redaktionsarbeit zum großen Teil ehrenamtlich erfolgte.
Man darf gespannt sein auf die vielfältigen Auswertungen, die nun noch aus den Daten herauszuholen sein werden. Während beispielsweise auf einen detaillierten quantitativen Vergleich der Verbreitung mit früheren Daten auf Bundesebene wegen der unterschiedlichen Raster verzichtet werden musste, wäre dies für Ostdeutschland möglich, denn der Nicolai-Atlas 1978-82 nutzte ebenfalls die TK als Basis.
Eine(zu) oft benutzte Floskel am Schluss von Rezensionen sagt, das besprochene Buch dürfe in keinem Bücherschrank fehlen. Hier trifft sie ausnahmsweise wirklich zu—- vorausgesetzt, man hat Interesse am Vorkommen von Brutvögeln in Deutschland .
Wolfgang Mädlow