Rings um Berlin im Jahre 1858.
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auf das Dach des Häuschens hinauflangen. Dabei sah es so baufällig aus, dass sich gewiss niemand gewundert hätte, wenn es über Nacht zusammengefallen wäre. Und doch hat der Eisbock noch recht lange die Potsdamer Strasse geziert.
Die Beschreibung einer Berliner Strasse von 1858 würde aber unvollständig sein, wenn ich nicht eine besondere Eigenschaft noch wenigstens erwähnte: ich meine den Duft oder vielmehr Gestank, der den stagnierenden Rinnsteinen entströmte. Derselbe war, zumal im heissen Sommer, fast unerträglich, gehörte aber zu den für die Stadt charakteristischen Eigentümlichkeiten. Erst durch die Kanalisation wurde hierin gründlich Wandel geschaffen.
Auch die Strassenbeleuchtung war im Jahre 1858 von der jetzigen recht verschieden. Eine Berechnung ergiebt, dass die damalige Beleuchtung zu der jetzigen etwa in demselben Verhältnisse steht, wie der Verkehr von damals und jetzt, die Potsdamer Strasse wurde damals alle halbe Stunde von einem Omnibus durchfahren, während sie jetzt in derselben Zeit von 62 Pferdebahnwagen und 34 Omnibussen passiert wird.
Der Abschluss der Potsdamer Strasse am Potsdamer Platz war durchaus nicht imposant.
Von rechts und links her sah man die graue Stadtmauer sich dem Thore nähern; die beiden jetzt noch bestehenden Thorgebäude dienten als Unterkunft für die Wachtmannschaften, das eine für die Zollbeamten, das andere für die Militärwache. Ausserhalb des Thores zog nach links die Schulgartenstrasse, nach rechts die Hirscheistrasse, hinter dem Thore nach links die Brandenburger, nach rechts die Potsdamer Kommunikation. Und durch diese Kommunikationen fuhren die Züge der Verbindungsbahn; doch hatten diese Eisenbahnzüge nichts Beängstigendes. Langsam und feierlich schritt vor dem Zuge ein Schaffner voran, mit einer grossen Messingglocke bei jedem Schritte laut läutend. Ihm folgte die Lokomotive und dahinter kam langsam rumpelnd der Güterzug. Oft hatte ein solcher Zug zwei Lokomotiven und eine dementsprechende Anzahl von Wagen und man kann sich denken, wie lange es dauerte, bis der Fussgänger- und Wagenverkehr über den Platz wieder frei wurde. Das Publikum war daran gewöhnt an den Brücken und Thoren zu warten.
Langsamer ging damals der Verkehr in der Stadt, dafür aber auch gemütlicher. Die „Rettungsinseln“, die sich jetzt auf den Plätzen befinden, waren entbehrlich; sie sind erst durch die Strassenbahnen und das Radfahren nötig geworden. Jetzt sind an den Strassen- kreuzungen berittene Schutzleute postiert um die Fahrordnung: „immer rechts fahren“ in Erinnerung zu bringen; damals fanden die wenigen
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