Heft 
(1914) 22
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Alt-Berlinische Erinnerungen

von Julius Rößler.

Als geborener Berliner kann Verfasser 60 Jahre zurückdenken, und wenn in einsamen Stunden die Gedanken zuriickschweifen in die eigene Jugendzeit, dann müssen wir nachdenklich sprechen:Was hat doch ein halbes Jahrhundert aus der Stadt Berlin gemacht! In der Schule wurde uns bei der Heimatkunde gelehrt: Berlin hat 400 000 Einwohner!

Verfasser ist geboren Dorotheenstr. 88, Ecke der Friedrichstr., also in der Nähe der Kranzler-Ecke Unter den Linden, deren Kreuzungspunkt mit der Friedrichstr. schon von jeher der Brennpunkt des gesellschaft­lichen Straßenlebens und des internationalen Fremdenverkehrs von Berlin war. Freilich, die Kranzler-Ecke mit der altbekannten Konditorei daselbst ist im Laufe der großstädtischen Entwicklung überflügelt worden an Kaum und Massenverkehr durch die modernen Cafes Bauer und Victoria an den gegenüberliegenden Ecken; aber es gab früher eine Zeit, wo der wohlhabende Fremde bei Krauzier Eis gespeist haben mußte, sonst wäre der Besuch und die Kenntnis von Berlin nicht vollständig gewesen. Allerdings war dies zu einer Zeit, wo das Speiseeis noch eine besondere Leckerei war und noch nicht an den Straßenecken feilgeboten wurde. Heute dagegen will man uns in der Fremde die Eigenschaft eines Berliners absprechen, wenn wir sagen, daß wir noch niemals im Cafe Bauer gewesen seien, und man will es gar nicht glauben, daß von 1000 Berlinern noch kaum einer in der pekuniären Lage sei, ähnliche Lokale wie Cafe Bauer besuchen zu können.

Um die Mitte der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts war noch die Alte Jakobstraße im Südosten der Stadt die äußerste bebaute Straße, und von da an dehnte sich eine weite freie Fläche aus bis zu der Stadtmauer, die im Zuge der heutigen Gitschiner und Skalitzer Straße stand. Mitten durch diese freien Flächen zog sich nur die heutige Dresdener Straße hin, die ehemalige alte Heerstraße nach der Lausitz

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