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Julius Rößler.
und Schlesien. Die Straße war nur teilweise behaut mit kleinen, alten Häusern; in ihnen wohnten Gärtner und Ackerbürger, von denen das weite Feld innerhalb der Stadtmauer mit Gemüse und Getreide bebaut wurde. Der „alte Fritz“ hatte die Stadtmauer in sc» weitem Dogen erbauen lassen. Ein Menschenalter nach dem Jahre 1S4S hatte genügt, um die Gärtnereien und Getreidefelder mit einem Häusermeer zu überbauen; dem gesteigerten Verkehr mußte die hindernde Stadtmauer weichen, uud breite Promenaden zeugen von ihrem ehemaligen Lauf. Ein zweites Menschenalter hat aber die innere und äußere Duisenstadt wiederum ganz verändert und hat daraus den Derliner Messebezirk für Galanterie- und Bronzewaren, Kunstgewerbe und Keramik gemacht; der ehrenwerte Stand der Ackerbürger ist in Berlin aber ganz ausgestorben.
Nach Westen hin mußte man in meiner Jugendzeit über eine halbe Stunde laufen, um Schöneberg und Charlottenburg zu erreichen. Jenes war ein wirkliches Dorf mit Dorfatie und Spritzenhaus, dieses war eine kleine Acker- und Gartenstadt — im Volksmunde Schlorrendorf genannt — wo die wohlhabenden Berliner Sommerwohnung nahmen; beide Orte aber versorgten die Berliner mit Milch. Die Frauen und Mädchen von dort kamen mit kleinen Handwagen oder mit einem Hundegespaun früh morgens in die Stadt, um von einem Kunden zum andern zu fahren, und sie nahmen zugleich den Küchenabfall mit zur Fütterung für das Vieh. Diese Milchmädchen mit ihren dreieckigen Kopftüchern waren damals in Berlin typische Straßenliguren, und in einer Posse: „Das
Milchmädchen von Schöneberg“ kam die Soubrette mit einem Hundegespann auf die Bühne gefahren, um schließlich einen reichen Mann zu bekommen. Aber nach einem Menschenalter, da brachten die Mädchen von Schöneberg keine Milch mehr nach Berlin, denn sio waren inzwischen zu Töchtern von Millionären geworden, und sie spielten nun Klavier. Die Potsdamer Eisenbahn und Bauspekulauten hatten mit den Jahren den Bauern von Schöneberg das Ackerland zu horrenden Preisen abgekauft. Ein Handwerksgeselle hatte einst im übermütigen Scherz eine kleine Scholle Land ganz billig gekauft, weil bei einer Teilung niemand diese haben wollte. Als später die Potsdamer Bahn erweitert werden sollte, mußte man dies kleine Stückchen Land absolut haben und es wurde dem glücklichen Besitzer bei dem Verkauf sozusagen mit Talerstücken geplastert. Zwei Brüder hatten das väterliche Bauerngut zu Geld gemacht. Sie hatten den großen Haufen Geld auf den Tisch geschüttet, das Abzählen zur gleichmäßigen Teilung erschien ihnen aber zu langweilig. Sie nahmen daher noch einmal das väterliche Scheffelstreichholz zur Hand und teilten damit das Geld in zwei Teile, denn bei den Hunderttausenden kam es nicht darauf an, ob ein Bruder 100 Taler mehr bekam, als wie der andere! — Und wieder ein Menschenalter später, da ist Schöneberg zur Stadt geworden mit gotischem Kathause