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Eingemauerte Segenssprüche in mittelalterlichen Bauwerken.
Einfluß der Geistlichkeit das gesamte Leben der Laienwelt zu unterstellen, und machten krampfhafte Anstrengungen für die Unzahl von messelesenden Klerikern auf Kosten reicher Bürger immer neue Altäre zu stiften (vgl. die Inschrift aus St. Gotthard Fig. 10.) Unter solchen Umständen ist es denn wohl nicht zu verwundern, daß sie sich auch die harmlose Spielerei der Ziegelbrenner und ihre Sucht, die Steine zu bekritzeln, für ihre Zwecke dienstbar zu machen suchten und ihnen die besagten Schreiberdienste nur leisteten, wenu wichtige Psalmenworte aus der fast täglich gelesenen Messe als Inschrift gewählt werden sollten. Dadurch war ja gewissermaßen dreien geholfen: 1) der Kirche, denn sie hatte das Bewußtsein, alle und jede Tätigkeit der Bürger, selbst die nebensächlichste, unter ihrer Obhut zu haben und die weltliche Lust an Späßen durch kirchliche Frömmigkeit zu verdrängen; 2) den Ziegelbrennern, denn sicherlich waren sie noch besonders stolz, wenn statt ihrer Krähenfüße und ungeschickten Kritzeleien der geistliche Herr die ihnen unverständlichen, aber doch vielgehörten Worte der Messe auf ihre Ziegel schrieb; 3) dem Bauwerk selbst, welches ja, da es als Bollwerk gegen das fehdelustige Magdeburg dienen sollte, es sehr nötig hatte, daß ihm die besten Glück- und Segenswünsche für seine Erbauung mitgegeben wurden. Was konnte es aber besseres und heilkräftigeres geben, als das auch in unserer deutschen Liturgie wuchtig anhebende Psalmwort: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn.“ — Daß bei dieser heimlichen Zuwendung eines segenbringenden Spruches nicht an eine offizielle Weihung des Turmes, wie dies bei Kirchen durch den Bischof oder Weihbischof geschah und noch geschieht, zu denken ist, brauche ich wohl nicht erst zu bemerken. Wenn man bei Kirchen — wie Oberpf. W. schreibt — mehrfach Reliquienteilchen (Altarplatte der hiesigen Dom-Krypta) oder gar kleine Lebewesen mit einmauerte, um dem Bauwerk Bestand zu verleihen, so wird es wohl mit unserem eingemauerten Segensspruch eine ähnliche Bewandtnis gehabt haben. In jenem Zeitalter, wo geweihte Kerzen, geweihte Rosenkränze, geweihte Heiligenbilder die größte Rolle spielten, ist es nicht undenkbar, daß die Ziegelstreicher unter tausenden von Steinen einen besonders weihen ließen. Jedenfalls ist der Stein überaus merkwürdig und jeder wird Herrn Prof. Adler Recht geben, wenn er schreibt: „Besonders interessant war mir die neue Inschrift wegen ihres Inhalts.“