Heft 
(1904) 13
Seite
205
Einzelbild herunterladen

Eingemauerte Segenssprüche in mittelalterlichen Bauwerken. 205

Stellung der Inschrift ist nicht (wie I, 1II, 3) offiziell durch einen Willensakt des Erbauers vollzogen, sondern der Stein ist vielleicht ganz ohne Wissen desselben mit den Psalmworten versehen worden. Mit anderen Worten: Die Steintorinschrift gehört unter die Einkritzelungen, die man als Graffiti zu bezeichnen pflegt; allerdings ist bei dem hier in Frage kommenden Begriff diejenige Art von Graffiti, welche erst später in die schon Jahrhunderte alte Mauer eingeritzt sind (z. B. Peter Wannemachers Wandinschrift a. 1(122, vgl. Jork, Führer durch Branden­burg 1903, Seite 139) ganz auszuschließen; solche heißen genauer Sgraffiti. Kein Geringerei', als Oberpfarrer I). Wernecke, der namhafte, hochverdiente Kenner der kirchlichen Altertümer der Mark, hat diese Graffito-Natur unserer Inschrift mit denkbar größter Schärfe betont. Dennoch ist auch er wohl der Meinung, daß nicht alle Graffiti einander gleichwertig sind. Schreibt er doch in seinem hierüber an mich gerichteten Briefe:Mir selbst ist auf diesem Gebiete, in dem, was ich früher persönlich besichtigt oder Berichte darüber gelesen habe, ein Beispiel von solcher Länge des Graffito noch nicht vorgekommen. I fieses Zugeständnis des kenntnisreichen Forschers ist von einschneidender Wichtigkeit. Denn wie so oft ein Ding durch äußerliche Vergrößerung auch seine Natur ändert navis longa heißt nicht langes Schiff, sondern Kriegsschiff, so muß auch ein dreizeiliges Graffito mit 20 Worten eben ganz anders beurteilt werden, als eins, das nur 13 Worte umfaßt. Und dies umsomehr, als ja sicherlich neben diesem Inschriften­stein noch ein zweiter (vielleicht auch ein dritter oder vierter) gesessen hat, von dem bei der Renovierung des Turms nur ein Bruchstück mit dem Worte . . . tis gerettet worden ist, das, wie Herr Prof. Tangl aus­drücklich erklärt, in einen anderen Zusammenhang gehört. Zwischen den Ziegelstreichern, die nach recht alter Sitte wie Oberpf. W. schreibtteils ihren Namen, teils Jahreszahlen, teils kleinere Bilder, teils wirkliche Inschriften meist spaßhaften, aber auch ernsthaften und Gebets-Inhalts in die feuchten Steine vor dem Brande einzukratzen liebten, und dem Verfertiger des uns vorliegenden Steines ist doch ein gewaltiger Unterschied. Denn da die Ziegelstreicher, die in jener Zeit meist der Schreibkunst unkundig waren, sich wie es in dem Briefe weiter heißtder Hilfe von Schreibkundigen bedienten, diese aber meist Geistliche waren, so ist, meine ich, bei dieser lateinischen Inschrift der religiös-kirchliche Nebenzweck, den diese scheinbar unabsichtliche Kritzelei hat, unschwer zu erkennen. Um 1450 (in diese Zeit nämlich setzt auch Prof. Adler nach einer brieflichen Mitteilung jetzt die Erbauung [statt 1380], sodaß seine Ansicht mit der Prof. Tangls übereinstimmt), wo die Weissagung des IIus von demkommenden Schwan schon manchem die Augen geöffnet, waren die Machthaber der röm.-katholischen Kirche natürlich mehr denn je bemüht, dem

4