Die Berliner Volkssprache.
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dieses Gebietes stimmen auch die berlinischen Pluralformen. Nd. miise, böine (Mäuse, Bäume) hätte sich — wären die Formen bewahrt — im Berlinischen nur zu „mlse beme“, nicht aber zu den in Berlin tatsächlich üblichen Bildungen „meise, böme“ entwickeln können. Die dein Berliner geläuligi'fci Formen gehen auf„mäuse, böme“ zurück und das ist wieder die obersächsische Verteilung, wie sie dem oben erwähnten Unterschied von an und ö entspricht.
Wie aber kommt das Berlinische gerade unter Aufgabe seiner ursprünglichen niederdeutschen Vokalverteilung zu diesen mit den hochdeutsch obersächsischen übereinstimmenden Vokal Verhältnissen ?
Als die bisher von Slaven bewohnten ostelbischen Länder mit einer oft bewunderten Schnelligkeit und Gründlichkeit germanisiert wui’den, hatten sich in ihrem größeren nördlichen Teil niederdeutsche (niedersächsische und — wohl gerade im südlichen Teil der Mark Brandenburg — auch niederfränkische) Scharen niedergelassen, die nun Herren des Landes wurden, und deren niederdeutsche Sprache die bisher hier gehörte slavische Sprache völlig verdrängte. Seitdem war diese Landschaft niederdeutsches Sprachgebiet, und niederdeutsch war die Umgangssprache, die Sprache der Behörden bei allen Aufzeichnungen, Urkunden, Erlassen. Und sie blieb es, wenn auch die Fürsten des Landes hochdeutsch schrieben, wenn auch seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die hochdeutsche Hohenzollernkanzlei sich sogar in Kölln bei Berlin befand und die hochdeutschen Hofbeamten und Schreiber unter und mit den Berlinern lebten.
Zu Ausgang des 15. Jahrhunderts aber änderten sich diese Verhältnisse. Eine große Anzahl von Kulturfaktoren traf gerade damals in Berlin zusammen, um die Köpfe für hochdeutsches Wesen, hochdeutsche Bildung und hochdeutsche Sprache empfänglicher zu machen, so daß seit dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts der Berliner Magistrat in Urkunden und Briefen nicht mehr niederdeutsch schrieb, sondern die hochdeutsche Sprache wählte, die die meisten Kanzleien gebrauchten, mit denen Berlin in Verbindung stand, die die Sprache des Fürstenhauses war, und die einem großen Teil der Bürger — aus gleich näher zu bezeichnenden Gründen — geläufig sein mußte.
Die frühesten hochdeutschen Schreiber des Magistrats von Berlin und Kölln hatten aber, wie deutlich aus den Formen ihrer Sprache hervorgeht, ihre Bildung in obersächsischen Landen erhalten. In Leipzig hatten viele von den jungen Berliner Patriziersöhnen ihren Universitätsstudien obgelegen, dort hatte der Handel seinen Mittelpunkt, und die Leipziger Messen wurden — zeitweise als die einzigen außermärkischen — auch von dem Berliner Kaufmann besucht. Sächsische Handelsherren kamen nach Berlin, um die Verbindung mit den Berliner Kunden hier am Orte selbst zu pflegen. Sachsen war das nächstgelegene hochdeutsche Land.