Die Berliner Volkssprache.
133
die zwar das Nd. bewahrt hat, hochdeutsch zu z (s, ss) geworden waren; dagegen gehen die hochdeutschen t auf urdeutsches d zurück, das sich im Niederdeutschen also d erhalten hat (tein: zehn; water: wasser; dun: tun). So scheint aus diesem Grunde Berlin hier mit den nd. Verhältnissen übereinzustimmen. Daß wir aber tatsächlich nicht nd., sondern hochdeutsche Wörter vor uns haben, beweist der Vokalismus z. B. in „dausent“ (nd. „dusent“), „deibel“ (nd. müßte diwel oder dibel aus düwel entstanden sein). Natürlich sind heute die alten Verteilungen nicht ausnahmslos mehr gewahrt. Die Macht der verschiedenen Einflüsse*), denen sich Berlin am allerwenigsten entziehen konnte und kann, verwischt die alte Verteilung mehr und mehr zu Gunsten der schriftsprachlichen.
Anders liegen die Verhältnisse im Inlaut, wo d nur gesprochen wird, soweit es auch hochdeutschem d entspricht, während sonst, im Gegensatz zum Nd., t gehört wird (berlinisch: „raten“, nd.: „roaden“). Man muß hier wohl davon ausgehen, daß d und t, w'ie es scheint, im Inlaut länger geschieden**) waren als im Anlaut, so daß zur Zeit als die Berliner das Obersächsische zuerst stärker aufnahmen, d und t noch in ihrer ursprünglichen Verteilung hörbar gewesen sein dürften. Das inlautende t war aber von dem nd. inlautenden t, das weniger intensiv artikuliert wird als das anlautende, nicht so verschieden, als daß man es nicht als t hätte hören und wiedergeben können. — Doch ist hier noch einer Schwierigkeit zu gedenken. Wenn die Scheidung von d und t („raten, leiden“) danach auch aus den obersächsischen Verhältnissen zu erklären sein wird, so ist doch darauf aufmerksam zu machen, daß im Sächsischen „unten, halten“, d. h. t nach n, 1, r, weder gesprochen, noch geschrieben wurde, daß die berlinischen t nach 1, n, r weder mit der obersächsischen Aussprache noch der Schreibung jener Zeit in Einklang zu bringen sind. Nicht mit der Schreibung, denn geschrieben wurdo d, wie es auch der erste Berliner lid. Schreiber im 16. Jhd. übernimmt: „aide, under, werde“ (nur nach r begegnet wohl auch t öfter: „werte“), also genau, wie es die Berliner im Nd. kannten. Auch mit der obersächsischen Aussprache steht dies t nicht im Zusammenhänge: Es ist wohl mit ziemlicher Sicherheit aus den Dialektverhältuissen der Umgebung von Leipzig anzunehmen, daß der Leipziger nicht nd oder nt, sondern nn (Immer) oder viel wahrscheinlicher ug entsprochen hat (hinger)***). Ich begnüge mich an dieser Stelle damit, die Tatsache zu erwähnen und
*; S. S. 135.
**) S. v. Bahder, a. a. 0. S. 243 f., S 240. Um 1600 war nach Rollenhagöns Zeugnis (s. S. 132) der Zusammenfall auch im Inlaut vorhanden.
***) Zu beachten ist die bei Albreclit angeführte Tatsache, daß das Dorf Lindenthal in Leipzig „Linkei“ ausgesprochen werde. (Die Leipziger Mundart § 89.)