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Agathe Laich.
verweise auf einen Erklärungsversuch in einem anderen Zusammenhänge weiter unten*).
Bemerkenswert ist die Erscheinung, daß der Berliner nicht wie der Sachse zwischen Vokalen w, sondern b spricht, nicht „jewen“**), sondern „jeben“, nicht „lewen“ sondern „leben.“ In diesem Falle ist die berlinische Abweichung vielleicht so zu erklären, daß das sächsische mit Hilfe beider Lippen gebildete, bilabiale, w nicht mit dem norddeutschen (in. H. der Unterlippe und der oberen Zahnreihe hervorgebrachten) w identisch war, sondern dem bilabialen Laut näher stand, den auch das Nd. besaß, dem b. Ich habe Gesch. d. Schriftspr. S. 174 Anm. noch eine andere Möglichkeit vorgebracht, die abhängig ist von der Annahme, daß der Berliner die neue Sprache nicht nur mit dem Ohr aufnahm, sondern auch mit dem Auge, durch das Schriftbild, wenn auch in viel geringerem Maße. Denn wenn der Leipziger auch „jewen“ sprach, so so schrieb er doch „geben“, und der Berliner, der nd. „gewen“ geschrieben hatte, hätte nun dies b nicht der Leipziger Aussprache gemäß gelesen, sondern als b, wie er jedes b zu lesen gewöhnt war. Doch scheint mir die erste Erklärung größere Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, weil wir für die bisher besprochenen Erscheinungen gezwungen sind, mündliche Übertragung, Erlernen der neuen Sprache durch das Ohr***), anzunehmen. Die Ausprache e und ö und ihre genau laut-
*; Für g und k ist zu bemerken, daß B. liier keinen Zusammenfall eintreten lassen konnte, da ja zur Zeit der Übernahme nicht g und k, sondern j und k auch im Sächsischen noch gesprochen wurde (s. S. 132;. Falls b und p damals im Ober- säehs. zusammengefallen waren, wäre die berlinische Scheidung dennoch zu begreifen. Man schied, wie für d und t, den hochdeutschen Mittellaut nach der gewohnten Einteilung: „ben“ und „pein“ = niederd. „ben“ und „pin“ (Bein, Pein). Einige Wörter mit b statt p, wie sie Graupe, De dial. marchica aufzählt, sind wohl aus anderen Gegenden entlehnt: „puckel, puschel“ (vgl schlesisch „puckel, „pusch“, bei Luther „püscliel“) oder jüngere Übergänge, wie ja in einem großen Teil Norddeutschlands in neuerer Zeit die Neigung besteht, den Stimmton stimmhafter Laute zu reduzieren, bes. vor r und 1 (vergl. Graupes Beispiele). Außerdem nennt G. noch Fremdwörter, wie pankrott.
**s Dagegen wird in Magdeburg auch w gesprochen: „lewen“. Ein w hatte auch das Nd. an dieser Stelle; nur war die Aussprache beider w, wie oben gesagt, verschieden. Der nd. Dialekt für die Umgegend Berlins spricht labiodentales w. Jedem Norddeutschen wird stets das bilabia'e w hochdeutscher Mundarten auffallend sein.
***) Teils lernte man sie im direkten Verkehr von den Obersachsen, teils wieder von denen, die sie von ihnen gehört hatten. Für die erste Anknüpfung wird man vorzugsweise an Leipzig zu denken haben. Seit der zweiten Hälfte des 1 K . Jahrhunderts konnten aber auch Geistliche und Lehrer, die in Wittenberg studiert batten, auf weitere Kreise wirken (Gesch d. Schriftspr. in B. S. 1-40, 222.) Daß daneben der eine oder der andere seine Kenntnis des Hochdeutschen aus Büchern schöpfte, ist wohl möglich, aber schließlich mußte auch dieser seine Aussprache nach der Form richten, die er