Die Berliner Volkssprache.
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gesetzliche Scheidung von ei und au, oder die Aussprache von d und p in ihrer Scheidung von t und f (ken: mein, böm: maus, dun: türm, appel: lofen) ist nur so zu begreifen. Denn die Schreibung beachtete im 16. Jahrhundert diese Unterschiede nicht oder kaum mehr.
Für die Weiterentwickelung ist hier noch einiger anderer Tatsachen zu gedenken. Wir haben gesehen, daß die Berliner Verhältnisse sich ungezwungen gar nicht anders erklären lassen, als durch die Übernahme der obersächsischen Form des Hochdeutschen. Denn das Berlinische weicht genau in den Punkten von der allgemeinen Form der Schriftsprache ab, die zur Zeit des Hochdeutschen dem Obersächsischen eigentümlich waren. Alle die anscheinend niederdeutschen Laute haben ihre Entsprechung im Obersächsischen und darüber hinaus war kein „niederdeutscher“ Laut bewahrt. Dies Verhältnis zeigt fraglos, woher jene Laute kommen, da es sonst unbegreiflch wäre, warum das Berlinische nur diese und gerade diese und sonst keine weiteren niederdeutschen Laute erhalten hat.
Nun dürfen wir freilich trotzdem nicht etwa annehmen, daß das heutige Berlinisch vielleicht ein getreues Spiegelbild des Obersächsischen ist, wie es im 16. Jahrhundert gesprochen wurde. Man wird nicht für jede berlinische Form die Entsprechung im Sächsischen finden und umgekehrt. Wir wissen beispielsweise, daß man in Leipzig im 16. Jahrhundert „woyn“ für das heutige berlinische „Wagen“ sagte.* *) Man hat eben damit zu rechnen, daß in späterer Zeit noch andere Einflüsse sich geltend gemacht haben, und wenn auch die Grundlagen der Sprachentwickelung dadurch nicht erschüttert wurden, die, wie wir sahen, immer noch die obersächsische Form des Hochdeutschen unzweifelhaft erkennen lassen, so dürfen sie doch nicht als unwesentlich außer Acht gelassen werden. Es ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß im 17. und 18. Jahrhundert die hochdeutsch sprechenden Kreise Norddeutschlands deutlich bestrebt sind, über die groben Eigentümlichkeiten des Obersächsischen hinauszugehen im Anschluß an. eine über den Dialekten stehende, d. h. mit keinem Dialekt völlig identische Schriftsprache, wie ja auch die meißnischen Städte selbst die stark mund-
von den Mitbürgern in Berlin, im befreundeten Frankfurt usw. hörte. Das Ausschlaggebende war, wie die heutigen Verhältnisse unzweifelhaft dartun, die mündliche Übertragung.
*) S. etwa Fabian Frangk in seiner Ortographia Deutsch 1531 (Müller, Quellenschriften d. Gesch. d. d. Unterrichts, S. 106): Der Meichsner nimpt auch das oy, der Schlesier das ay für ag oder age. Als wenn der Meichsner spricht, die moyt soyt, der woyn, zoyl vnd noyl etc. Sagt der Schlesier, die mayt sayt, der wayn, zayl vnd nayl etc. für Die magt sagt, der wagen, zagel vnnd nagel etc .... 1603 gibt Rollen
hagen an (= Seelmann, Niederdeutsche Jb. 18, S. 122) „Für sagen, tragen, hagen, klagen, Magt, sprechen sie (die „Meiscliner“), Saien, Traien, Hain, Klain, Maid.