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Agathe Lasch.
gelegenen Laute der eigenen Sprache, eine Annahme, auf die schon oben bei Besprechung der Verteilung von d und t hingewiesen war. Dadurch aber mußte beinahe jeder einzelne Laut bei ihm anders klingen als in hochdeutschem Munde, wie die Sprache des Ausländers sich stets von der des Eingeborenen unterscheidet. Als deutliches Beispiel führe ich noch einmal das oben erwähnte „fsen“ für „zehn“ an. Ein z (= ts) im Anlaut besaß das Niederdeutsche nicht. Man gab daher dieses durch den nächstliegenden Laut l's wieder, und noch heute kann man diesen Laut anstelle eines (ts) z in Berlin wie in allen ursprünglich niederdeutschen Landesteilen oft genug hören, z. B. „fswe“ 2, „Kränse“ statt Kränze.
In der „Beurtheilung einiger Reim-Endungen welche von etlichen Mund-Arten in Teutschland, absonderlich in Ober- und Nieder-Sachsen verschiedentlich gebraucht werden“, die B. H. Brockes 1725 in C. F. Weichmanns Poesie der Niedersachsen I veröffentlichte, hatte er, obwohl er den obersäcbsischen Zusammenfall vou b und p, d und t, g und k, g und j tadelt *), die Anwendung der Quantitäten nach obersächsischem Muster empfohlen, wo man konsequent „das Grab, des Grabes“, nicht wie im Norddeutschen „Grab, Grabes“ (mit kurzem ä in den einsilbigem, langem ä in den mehrsilbigen Formen) sagte. Nun, auch in diesem Punkte hat das Berlinische in der Mehrzahl der Fälle noch die alten niederdeutschen Verhältnisse. Wir sagen auch heute noch „grab, (gräp) gräbes**), lob (löp) löbes, gras gräses“ usw. mit Bewahrung der niederdeutschen Quantitäten. Das „Niederhochdeutsche“, wie man im 18. Jahrhundert das Hochdeutsch nannte, das die ehemals niederdeutsche Bevölkerung sprach, hat hier die ältere Stufe bewahrt. Es kann fraglich erscheinen, ob vielleicht diese Verteilung im 16. Jahrhundert im Mitteldeutschen bestand***) oder ob man nicht einfach das fremde Wort herübernahm unter Nichtbeachtung der Quantität, die man durch die gewohnte ersetztet).
*) S. oben S. 132. Übrigens rät er auf S. 32: „In allen Fällen aber, wo wir keine hauptsächlichen und sonnenklaren Gründe gegen sie anzuführen haben, wünschte ich, daß unsere niedersächsischen „Tichter“ sich je länger je mehr an die obersächsische Mundart gew öhnen möchten.“
**) Freilich nicht mehr „Stäb Stabes“, ein Beispiel, das Brockes auch anführt, dafür aber sogar jär Jahr, här Haar, die ursprünglich langes ä hatten. Die Kürze ist hier bei den Berlinern, die überhaupt r sprechen, deutlich. In den unteren Klassen, wo ein vokalischer Laut das r ersetzt, fällt dieser allerdings mit ä zusammen und bildet ü: ,.jä“ Jahr.
***) Später zum Hd. übergehende Orte könnten dann durch die benachbarten „niederhochdeutschen“ beeinflußt sein.
f) Denn daß der Berliner für die Quantitäten, für Rhythmik und Reim kein sehr ausgeprägtes Gefühl hat, kann man, wie ich glaube, auf Schritt und Tritt beobachten. Eine Sammlung der Verse der Straßenverbäufer dürfte in dieser Beziehung lehrreich sein.