Die Berliner Volkssprache.
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Verhältnisse wie für die älteren Entlehnungen bestanden. Au eine ähnliche Erklärung möchte man auch für die Wörter vom Typus „halten“, d. h. mit t hinter 1 denken, da die Aussprache in den heutigen Dialekten (hälen) den Schluß nahe legt, daß auch hier zunächst „hälen“ gesprochen worden, „halden“ also eine jüngere Form ist.*)
Diesen Ausgleichsbestrebungen also, die zunächst jedenfalls in den oberen Klassen wirksam waren und von da aus nach und nach zum Teil auch in die niederen Schichten drangen, die, wie oben bemerkt, in den obersächsischen Städten selbst ebenso gut erkennbar sind**) wie in Berlin, werden wir es zuschreiben, wenn das Berlinische heute nicht mehr in allem die obersächsische Lautstufe aufweist. Sie werden wir auch u. a. mit heranziehen müssen, wenn es gilt, die Frage zu beantworten, wie es denn kommt, daß das Berlinische so stark verschieden erscheint von der Form des Hochdeutschen, auf der es doch zweifellos beruht. Es ist klar, daß beide Gebiete sicli differenzieren mußten, da die Einflüsse, die auf sie einwirkten, naturgemäß verschieden waren. Man denke z. B. nur an die oben angeführte Tatsache, daß das Norddeutsche bewußt über das „Meißnische“ hinaus strebte, ferner daran, daß der Zuzug der gewaltigen Bevölkerungsscharen, die aus allen Teilen Deutschlands — und zeitweise auch Frankreichs***) — hierher strömten, nicht ohne Einwirkung bleiben konnte.
Aber auch wer den Berliner und den Leipziger des 16. Jahrhunderts hätte hören können, mußte unzweifelhaft schon so große Unterschiede bemerkt haben, daß es ihm kaum zum Bewußtsein gekommen wäre, daß der eine die Sprache vom andern erlernt hatte. Denn wie es z. B. dem Norddeutschen, der französisch lernt, nicht leicht gelingt, den nasalierten Vokal auszusprechen und er statt dessen etwa ein ng nach dem Vokal spricht, (long statt lü lang), so konnte auch der Berliner, dessen Muttersprache das Niederdeutsche war, die obersächsischen Laute, die er erlernte, nicht genau nachahmen, sondern substituierte die zunächst
*) Olle, molle (alte, Mulde) sind nd. Beste s. S. 139.
Der erste Berliner Schreiber, der hochdeutsch schreibt, schreibt durchaus nd, Id, rd, „aide, undir“, nie t. Unter seinen Nachfolgern überwiegt noch d; nur neben nd kommt zuweilen auch nt bei diesen vor. Aber zu Ende des 16. Jahrhunderts herrschen in der Schreibung schon die schriftsprachlichen t..
**) Man sagte z. B. zur ('bergangszeit und wie das S. 136 Anm. zitierte Beispiel des Scioppius zeigt auch noch eine geraume Zeit nachher in Leipzig „nau“ (neu), nicht wie der Berliner heute „nei“. Daß aber der Leipziger Stadtdialekt hier zu gunsten der allgemeinen Schriftform ändert, beweist der Leipziger Brief in den „Vernünftigen Tadlerinnen“ 1725, 23. St. S. 177: „aber de matna well Mir keene naie hadriäbne machen lassen.“ Daß übrigens der Ausgleich hier wie dort nicht immer in gleicher Weise durehdringen konnte und nicht immer für die gleichen Erscheinungen, ist klar und leicht verständlich.
***) S. S. 140.
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