Heft 
(1892) 1
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Ueher das Verhältnis dev Heimatkunde zur Ueschiehts- und Altertumskunde. 33

richtet sehen wollen, eben weil sie gewissermaassen die potenzierte, umfang­reichere Bannmeile der Hauptstadt des Deutschen Reichs darstellt.

Diesem Verlangen entspricht die Pflicht der hier Erbgesessenen, jedweder Klärung speziell heimatlicher Dinge das eingehendste Interesse entgegen zu bringen. Keine andere Provinz unseres Vaterlandes darf hinsichtlich ihrer parteilosen Selbstbespiegelung mit grösserem Recht das stolze und gebiete­rische Wort aussprechen:Noblesse oblige.

Soweit die erste Pflicht, die uns vor Augen steht; eine zweite folgt ihr auf dem Fusse. Leben wir nicht in hastiger, drängender Zeit? Die alte Stabilität jener Denkmäler von Natur oder Kunst, die uns umgeben, ist ins Wanken geraten. Noch gestern stand ein altersgrauer Wartturm, eine granitne Stadtmauer. Heute fällt uns ein, sie einmal wieder zu besichtigen; beide sind abgerissen. Die Riesenei ehe, Zeuge längst verflossener Jahr­hunderte, in gleicher Lage, ist umgehauen, seltener vom Sturm entwurzelt. Der mächtige Felsblock, den einst die Urflut auf Schollen von Gletschereis aus fernem Nordland herüberwälzte, unter dem die Unterirdischen ihr Heim hatten, Pulver hat ihn gesprengt, vielleicht der Ausbesserung einer neu zu pflasternden Wegstrecke zu Liebe. Jener Sumpf, in dem auf schwanker Moosdecke eine ganze Vegetation seltenster und schönster Moorpflanzen, den Kenner entzückend, zu Anden war er liegt ausgetrocknet vor uns. Von dem Utilitarismus der Gegenwart, von industrieller Hochflut, von der Not wachsender Bedürfnisse bedroht, schwinden mehr und mehr die Wahrzeichen und Symbole der Vergangenheit. Die Gewächse unserer Flora, die Tiere unserer Fauna sind in raschem Niedergang begriffen. Gesteigerte Aufklärung stört den Glauben an Sage und Märchen, jahrhundertelang vom Volksgeist auf der Haide, im Fischerkahn, am Heerdfeuer oder in der Spinnstube fromm und liebevoll gehegt. Selbst was vorgestern erst gebaut ward, reisst das Gestern oder Heute schon wieder ein. Selbst die jüngsten Söhne der Gegen­wart haben oft Mühe, den Ort, wo ihre Wiege stand, wiederzuerkennen.

ln der Welt der Ideen der gleiche, wenn vielleicht nicht ein noch grösserer Umschwung wie in derjenigen konkreter Wirklichkeit.

Gilt es da nicht zu retten, was noch zu retten ist, damit nicht die Zu­kunft, um tausend teure Erinnerungen ärmer gemacht, unsere Generation vor dem Richterstuhl der Geschichte verklage? Schwerlich wird mir wider­sprochen werden, wenn ich es ausspreche: Es klingt uns im Ohr, wie der Glockenschlag der elften Stunde!

So lassen wir denn unsere Gesellschaft für Heimatkunde eine Insel der Zuflucht sein, an deren gastlichen Strand wir unsere Tephorim, die alten Hausgötter von Mark Brandenburg bergen, auf dass ihnen von den Zeit­genossen noch ihr gegen sonst geringer Zoll an Verehrung werde und damit die Nachwelt wisse, wie einstmals auf dieser Scholle des Vaterlandes das Menschengetriebe in nicht ganz unwürdiger Weise sich gestaltet habe.

Heimatliebe ist der Eckstein, auf dem Heimatkunde sich aufbauen soll.

Wenn Letztere, als noch zu vervollkommendere Erscheinung, für die Zukunft geplant wird, an der Ersteren hat es bei uns, Gottlob, niemals ge­fehlt. Das bekunden unter uns Geschichte und Litteratur, das hat unsere Museen gefüllt, unsere Heimstätten verschönert, unsere Fluren fruchtbarer

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