Heft 
(1900) 9
Seite
215
Einzelbild herunterladen

Die Lage von Berlin.

215

Wie aber nun jeder einzelne dieser diluvialen Urströme nur an­zusehen ist als ein Glied in der Entwickelungsreihe des alten Fluss- systemes, so bildete dieses selbst nur das Übergangsstadium zu den hydrographischen Verhältnissen der Gegenwart, für welche der Zeitpunkt gekommen war, als nach vollständiger Abschmelzung des Inlandeises und in Folge der damit wohl gleichzeitig sich vollziehenden nördlichen Allgeineinneigung des Bodens die bisherigen Nebenflüsse der unteren Elbe, des ältesten und eigentlichen Urstromes des nordöstlichen Deutsch­lands, Oder und Weichsel ihren nördlichen Abfluss zur Ostsee gefunden hatten, und in Folge dessen auch das Eberswalder oder alte Weichsel­thal westlich der in der Gegend von Oderberg zu suchenden Durch­bruchstelle ein todtes Thal wurde.

Dieses Ereignis, durch welches das heutige Flussnetz im wesent­lichen zum Abschluss gelaugte, war für das Berliner Thal nur insoweit von Wirkung, als nunmehr die vorerwähnteSelbständigkeit der Spree, d. h. ihr Einmünden in die Elbe in Frage gestellt wurde; denn die Havel, welche als ursprünglicher Nebenfluss des ältesten Urstromes bei Entstehung der beiden andern Hauptthäler zweimal in ihrem unteren Lauf gekürzt worden und so nacheinander zunächst zu einem Nebenfluss der über Berlin fliessenden alten Oder, sodann der über Eberswalde fliessenden Weichsel geworden war, hatte nach Entleerung der beiden nördlicheren Hauptthäler endlich ihr altes Bett über Spandau und Potsdam wiedergefunden, stiess aber auf diesem Wege recht winkelig mit der Spree zusammen. Zwischen beiden nicht erheblich ungleich starken Flüssen kam es nun zu einem Kampfe um die Oberhand, dessen Zeugen wir noch heute in den Versandungen des unteren Spieebettes sehen; die reichlichex-en Wasser der Havel mussten aber schliesslich den Sieg davon tragen, und damit war auch für die Umgegend von Berlin das heutige Flussbild vollendet.

Das im Vorstehenden skizzierte alte Flusssystem, wie es sich als Ergebnis der neuesten Forschungen etwa zu Ende der Diluvialzeit dar­stellte, lässt sich in seinen Hauptzügen aus jeder guten topographischen oder hypsometrischen Karte, beispielsweise den Blättern der mit so vollendeter Bergschraffur ausgeführten Karte des deutschen Reiches 1 : 100000, der Vogelschen Karte (Perthes-Gotha) 1 : 500000, sowie endlich auch mit Hülfe des Kiepertschen und Andreschen Handatlas ohne Schwierigkeit erkennen. Eine solche kartographische Studie wird ferner zeigen, dass das mittlere der drei Hauptthäler auf seiner ganzen Längs­ausdehnung von der Elbmündung bis nach Russland hin an der von unserer Reichshauptstadt eingenommenen Stelle, wenn auch nicht die engste, so doch diese für einen Übergang bei weitem günstigste Stelle aufweist, indem hier die beiden trockenen Diluvial-Plateaus, der Teltow und der Barnim sich auf etwa 400 m gleich einem Drittel der durch­schnittlichen Thalbreite nähern.