Heft 
(1896) 4
Seite
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Carl Bolle, Wendische Dämonen.

Bock oder gar auf dem Kurflirstendamm einhergerasselt kommt. Auch das Prusten seiner Pferde braucht nicht gerade Bangigkeit zu verursachen.

Die Erdmäunchen der Wenden nehmen unter den Elementargeistern einen vorzugsweis bedeutsamen Kang ein. Sie unterscheiden sich trotz vieler gemeinsamer Züge sehr wesentlich von den Wichtelmitnnchen der Deutschen und zwar zu ihrem Vorteil. Es wohnt ihnen nlimlich eine weit grossere Harmlosigkeit inne, die sich durch eine Menge der anmutigsten Geschichtchen bekundet. Ein schöner Zug der Duldsamkeit des wendischen Menschen gegen eine fremde und schwächere Kasse geht durch alle diese Erzählungen in welchen die kleinen Leute uns in einer Plastizität der Auflassung entgegen­treten, die trotz des Fehlens aller positiven anthropologischen Nachweise den Ursprung dieses Mythus fast mehr auf ein Nebeneinanderwohnen zweier sehr ungleicher Nationalitäten als auf den Hang zum Übersinnlichen hinzu­leiten scheinen. Diese Wendenzwerge heissen Lutki, Leutchen. Sic waren weder kunstreiche Schmiede noch Schätzesammlcr, am allerwenigsten aber böswillige Nachbarn, ln der Erinnerung sind sie dem Volke so sympathisch geblieben, dass Ausgrabungen ihrer Zwergenlöcher und Sammeln ihnen zu­geschriebener Gebisse und Gerlite einer Profanation gleich angesehen und daher ungern zugelassen werden Vom Licht der Vorzeit dämmernd um­flossen, zeigen sich die Lutkis als ein verschüchterter und hinschwindender Stamm, in dem alle Vorzüge einer primitiven Kulturstufe sich geltend machen.

Sie erscheinen wie ein absteigendes Glied in der Kette menschlicher Ent­wicklung, die von den selbst in finsterer Kcudalzeit verachteten und ge­knechteten Wenden eine Staffel tiefer in die Erniedrigung hinabführt. Aber

sie bleiben trotzdem gut und freundlich, wenn auch mit überirdischen ge­heimen Kräften begabt. Keine Kinder werden durch sie böswillig nus- geweehselt. Felddiebstahl oder das Nichtwiedergeben geliehener Sachen ist die schwerste Beschuldigung, die gegen sie laut wird.

Die Lutchen Jakob Grimm nennt sie komischer Weise Lottchen waren die ersten hier, die Eingeborenen vor diesem vor uns; sie haben zuerst dies Land bewohnt. Wie die Menschen kamen und sich mehr und mehr ausbreiteten, verschwanden sie. Sie waren vor zugleich mit und doch auch noch nach dem wendischen König, dieser Personifizierung hohen Altertums. Sie waren keine Christeideute, sondern Heiden. Zur Zeit der ganz Alten sollen sie noch gelebt haben. Urgrossvater, ja sogar Grossmutter haben sie noch gesehen.

Von den Menschen borgten sie Butterfässer und anderes Geräte, wofür sie als Gegengabe Kuchen und eigengebackenes Brot zurückbrachten. Selbst von dem geradebrechten Wendisch das sie gestammelt haben sollen, sind Proben überliefert worden.

Es ist im Grunde wenig Dämonisches, dagegen viel rein Menschliches an diesen Traditionen. Wenn der Nix, der sich der einfachen Technik eines selbst auf nicht allzuhoher Kulturstufe stehenden Völkchens anbequemt beim Klappern der Mühlenräder sich wohl fühlt, zeigen die Lutchen dagegen eine weit grössere und mehr sensitive Reizbarkeit den Einflüssen einer ihnen verhassten Civilisation gegenüber. Stets halten sie sich abseits. Die Glocken haben sie vertrieben, gleichwie einige ihrer deutschen Vettern