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8. ( 7 . nusserordl.) Versammlung des IV. Vereinsjahres.
Anfänge dieses Jahrhunderts hat das Voss’sche Volksstück einen nicht zu leugnenden kulturhistorischen Wert. Sehr auschaulich schildert z. B. die „Tante aus dem Fleischschafen“ das Lehen und Ti - eibeu in der Stralauer Strasse, durch welche sich die Berliner nach dem Festplatze begaben:
„In de Straloerstrasse hättest Du mal sehen sollen; so wat hab’ ick in meinem Leben nich gesehen! Kopp an Kopp i^ alle Fenstern, Gesicht an Gesicht, noch dazu und obenin voller Menschen — als wenn die Straloerstrasse ’t Opernhaus wäre und die Fenstern die Logen! . . An die Straloer Brücke war’n Gedränge, des man dachte, sie würden Eenen alles Zeug vom Leibe reissen, und uf die Spree konnte keeu Appel zur Erde vor lauter Schiffe. . . . Un links, grade über die Zuckersiederei, standen Dir ’ne Milljon Stühle, da sassen wieder Leute druf, die wollten’s Vorbeifahren mit ansehen. Ick dachte: wat det doch vor Narren sind! Wat seh’n se denn daran? Aber’t andre Jahr will ick mich och ’n Stuhl dahin setzen lassen; es muss sich doch recht pläsier- licli da Zusehen!“
Sehr ergötzlich ist auch die Schilderung, welche dieselbe „Tante aus dem FleischscJiarrn“ ihrer Nichte von ihren Toilette-Sorgen vor dem Besuch des Fischzugs giebt: „Ick stellte mir vors Spinde und dachte: wat ziehst du nun an? det gestickte musseline, oder det gingangne, oder det türksche bunte, oder eens von de levantinenen, oder det at- lassne? Nu will ick Dir aber sagen, warum ick keen seidenes angezogen habe. Ich dachte, et wär schade drum, weil mir eener int Gedränge ein Loch rein reissen künde. So is’t mir s chons t uf n Fischzug gegangen. Un nu will ich Dir noch sagen, worum ick keen weisset augezogen habe. Ick wollte erseht ufft Schiff fahren, und ufft Schiff kann man sich ’n weiss’t Kleed gar zu sehr insauen. Und nu will ick Dir oocli sagen, worum ick ufft Schiff fahren wollte. Weil ick nich uff meinem Wagen raus fahren künde. Ick will Dir ooch sagen worum. Ick habe meinen Wagen nach Hammels un Kälber geschickt. Na, et wurde drüber dann Zwölbe, det ick mich besunt, wat ick anziehen sollte. Un wie ick mich besonnen hatte, zog ick det türksche an. Drüber wurde et denn eens. Nu aber dacht ick: welchen Duell nimmst du um? Den weissen Plein mocht ick’t nicht zu leede dun, un der jeele kriegt man Franzen, der grosse rothe ist wohl hübsch, dacht ick,~aberst sie sind nich mehr Mode. I dacht ick endlich, du nimmst den schwarz seidenen Schall mit die Blumen. Nu will ick Dir aber ooch sagen, worum ick ’n nich umgenommen habe. Glaser Bibbermann’s Döchter gingen vorbei, un hatten ooch schwarz seidne. Ne, dacht ick, haben die schwarz seidne, drägst du keenen. Un nu nahm ick doch ’n weissen.“ —
Die Berliner haben somit fast 70 Jahre, bevor Ernst von Wildenbruch seine „Quitzows“ schrieb, ihren Dialekt auf der Bühne des könig-