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14. (6. ordentliche) Versammlung des XII. Vereinsjahres.
den Toren Berlins ihr Haupthaar verbargen. Unter die Hauhe kommen d. h. das freie Haupthaar mit einem künstlichen Aufbau verdecken, heisst doch ganz allgemein in Deutschland sich verheiraten und deute auf eine ganz allgemeine deutsche Sitte bei den sich Verheiratenden, das Haupthaar zu verstecken.
Dagegen sei es bei den Germanenfrauen anders gewesen, wie die Thusnelda-Bildsaule in Florenz und andere klassische Abbildungen auf Gemmen, Kannen und Reliefs die Germanenfrauen mit langem, schönem Haar zeigen, wie dies Piloty auf seinem bekannten Bilde in der Münchener neuen Pinakothek richtig erfasst habe, woselbst er im Triumphzug des Germanikus die gefangene Cheruskerfürstin mit lang herabwallendem, prächtiggoldenem Haupthaar darstellt.
Er glaube daher mehr, dass es sich bei der Sitte, die jetzt zur Diskussion stehe, um Modeangelegeheiten handele, die nach den Zeiten und der Örtlichkeit und der jeweiligen Volksanschauung hin und her schwanken.
Dieser Anschauung ist auch Herr Robert Mielke beizutreten geneigt, während Herr Professor Dr. Rawitsch sich hiermit nicht befriedigt erklären kann.
Ein genauer Kenner der zunächst in Frage kommenden Gegend, der nicht genannt zu werden wünscht, fügt noch folgendes hinzu:
Auf dem Dorfe gehts gleich nach dem frühen Aufstehen an die Arbeit. Die Leute waschen sich mitunter nicht oder nur recht unvollkommen, die Weiber ebenso. Die Kinder haben angeblich keine Zeit, sich lange und sorgfältig zu kämmen, sie müssen eiligst in die Schule laufen oder aufs Feld, Gänse hüten und dgl. mehr. Da wird denn gleich frühmorgens das Tuch um den Kopf gebunden — ein beliebiges —, um die unordentlichen total verfilzten Haare zu verdecken. Viele schlafen sogar mit dem Tuch, wie ja auch im Sommer der Bauer meist angezogen nachts ruht. Er geht spät zu Bett und muss sehr früh wieder aufstehen — um 3 Uhr morgens, damit er um 5 bei der Arbeit auf dem Acker ist. Vorher muss aber das Vieh versorgt sein, kurz, den Leuten fehlt die Zeit zur Körperpflege. Dazu kommt die Gewöhnung an die Unordnung und endlich die Verwöhnung. Durch das fortwährende Kopftuchtragen wird der Kopf so verwöhnt und so wärmebedürftig, dass bereits die Kinder selbst an warmen Tagen ohne Kopftuch frieren. Kommt nun noch hier und da hinzu, dass sich Läuse eingestellt haben, so wirds noch schlimmer und das Tuch völlig unentbehrlich. Nach und nach bildet sich denn auch ein Haarnest aus, das in seiner Abgeschabtheit und Verworrenheit dem Weichselzopf ähnelt. Ich glaube, dies genügt, um darzutun, dass es nicht nötig ist, nach heidnischen oder ethnischen Überlieferungen zu suchen, um eine Erklärung zu finden, die sich aus