Heft 
(1908) 17
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Das alte und neue Potsdam.

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Fenster mehr an der Straßenseite der Häuser anbringen; denn es kommt vor, daß ein zerbrochenes Fenster einzelne Passanten verletzt. Ja, wir dürfen kein Gas im Hause, keinen Ofen im Zimmer dulden, weil beide unter Umständen gefährlich werden können. Solche Einwendungen sind zwar nicht ernst zu nehmen; sie stärken aber die dem Kanal feindselige Richtung in der Bürgerschaft, die noch von einer anderen Seite Nahrung erhält. Die Herstellung neuer Brüstungsmauern und eines flutenden Kanal­gerinnes verursacht nämlich erhebliche Kosten, die einzustellen man offen­bar zunächst Bedenken trägt. So weit die Grundsätze fiskalischer Ökonomie die Kanalfrage allein zu entscheiden haben, könnte man sich mit dem Opfer zufrieden geben; in diesem Falle, in dem Kunst und Pietät vereint mitzusprechen wagen, kann die Kostenfrage unmöglich Veranlassung geben, eines der schönsten Städtebilder Europas vielleicht der Welt!, das zudem noch ein Denkmal unseres Herrscher­hauses ist, leichten Herzens zu zerstören. Hat man bei vielen frag­würdigen Verschönerungen fast immer Geld zur Hand, dann darf man hoffen, daß auch in diesem Falle die Mittel nicht versagt werden. Da die Erhaltung zunächst der Regierung obliegt, so dürfte das Abgeord­netenhaus in erster Reihe ersucht werden, ausreichende Mittel zu be­willigen. Und stellt man den auf etwa 300000 M. berechneten Kosten die Millionen entgegen, die Friedrich der Große und sein Vater für Potsdam bereit gestellt haben, dann wird unsere Landesvertretung kaum versagen, um ein so hervorragendes Werk der Städtebaukunst zu erhalten. Den Bewohnern der Stadt aber darf man die Mahnung zurufen, den Kanal nicht nur von der Warte enger örtlicher Interessen, sondern auch von dem Standpunkte allgemeiner Kunstkultur zu betrachten, nicht nur stets die Nachteile des gegenwärtigen Zustandes, sondern auch die Vorteile für ihr städtisches Gemeinwesen im Auge zu behalten. Sie werden sich dann um so weniger der Pflicht, auch ihrerseits zu der Erhaltung bei­zutragen, entziehen, als die Gunst des Fürstenhauses ihnen heute noch unvermindert erhalten ist.

Doch kehren wir zu den Bauwerken zurück. Auch Friedrich war in seinen städtischen Bauwerken abhängig von dem rechteckigen Grundplan der Stadt; was er aber dort in souveräner Kunstfreude erstehen ließ, war nicht Anklammerung an dieses System, sondern seine folgerichtige Entwicklung in eine ergänzende Straßenarchitektur. Bei dem Marktplatz mit dem Rathaus, dem leider durch Riesen-Geschäftsanzeigen stark ent­stellten Barberinischen Palast und anderen auf dieselbe Kunst gestimmten Privathäusern kann man unmittelbar von einem Forum friderizianischer Kunst sprechen. So machtvoll und folgerichtig klingen hier die Rhythmen der Straßenarchitektur aus, daß sich selbst Schinkel mit seiner auf ganz anderen Voraussetzungen stehenden Kunst ihr unterwarf, als er die prächtige Nikolaikirche schuf. Es kommt in dieser friderizianischen