HEINZ MÜLLER
Wittenberge im Jahre 1848
Im 19. Jahrhundert vollzog sich für Wittenberge der entscheidende Umschwung vom vormals kleinsten Städtchen der Prignitz zur bedeutendsten Industriestadt dieser Landschaft. Diese Entwicklung sei hier nur kurz angedeutet. 1819 bringt die Verlegung des Hauptzollamtes nach Wittenberge einen bedeutenden Anstieg der Bevölkerungsziffer. Dieser Anstieg soll sobald nicht aufhören. 1823 wird die Herz’sche Ölmühle gegründet, 1845 bis 1848 wird die Bahnverbindung Hamburg—Berlin hergestellt, 1847 beginnt der Bau der Elbbrücke, und damit entsteht die Bahnverbindung Wittenberge—Magdeburg, 1847 errichtet die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn auf dem Gelände der heutigen Nähmaschinenfabrik eine ^Werkstatt, eine Eisengießerei, eine Koksbrennerei mit drei Öfen und einen Kalkofen. Darüber hinaus werden hier (wahrscheinlich die ersten in Wittenberge) 4 Dampfmaschinen, zwei mit 16 bzw. 20 PS und eine mit 6 bis 8 PS sowie eine zur Wasserbeförderung aufgestellt. Diese Angaben, an anderer Stelle wurde schon mehr darüber mitgeteilt, mögen hier genügen, um die Behauptung zu untermauern, daß durch das Wittenberge des Jahres 1848 ein Zug frischer Aufwärtsentwicklung und Entfaltung geht, der die letzten Spuren des einstigen „Dornröschenschlafes“ hinwegfegt. Am Ostrande der Stadt, noch von ihr selbst durch weiße Sandberge getrennt, sind hunderte „fremder Arbeitsmänner“ eifrig am Werk. Uralter Eichenbestamd fällt unter ihren Äxten, Erhöhungen werden abgetragen und Vertiefungen ausgefüllt. In der Stadt selbst regiert seit 1844 der Bürgermeister Seeger. Viel läßt sich über seine Amtszeit (1844—1864) und damit über das Leben, die Freuden und Sorgen der Wittenberger dieser Zeit nicht sagen. Zeller schreibt in seinem 1932 erschienenen Werk darüber: „Überhaupt war es nicht möglich, über die Person des Genannten und seine Amtsführung Wissenswertes zu erfahren. Alle die städtischen Akten darüber wie über so vieles andere, was historischen Wert hatte, sind durch den Unverstand eines ehemaligen städtischen Beamten der Vernichtung anheimgefallen.“
Aus dem Jahre 1848 ist uns glücklicherweise eine Akte erhalten geblieben, die den Titel „Erhaltung der öffentlichen Ruhe und gesetzlichen Ordnung nach der Revolution der Berliner am 18. März 1848“ trägt. Um es gleich vorweg zu sagen, eine Geschichte wilder revolutionärer Kämpfe ist es nicht, die uns die schon vergilbten Blätter dieser Akte vermitteln; und doch geben sie einiges der gespannten Atmosphäre der Märztage und der darauf folgenden Wochen wieder. Lassen wir die Akte selbst sprechen. Vom 30. März ist das Schreiben, das uns beweist, daß die Wogen der Revolution unsere Stadt erreichten. Nach diesem Schreiben sah sich der Magistrat veranlaßt, eine sogenannte Schutzkommission ins Leben zu
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