Nr. 3/94 - Seite 16
KULTUR
Siegward Sprotte:
„Appell der Kunst an den Menschen von heute“
Dritte Gastvorlesung des Künstlers
Zum dritten Mal hielt der gebürtige Potsdamer Künstler Siegward Sprotte - seit 1945 mit Wohnsitz und Galerie auf der Nordsee-Insel Sylt - einen Gastvortrag an der Universität Potsdam. Mit dem Thema „Appell der Kunst an den Menschen von heute“ legte Siegward Sprotte hohe philosophische Denkansätze einerseits auseinander und schaffte im Gegenzug dazu neue, eigene Verbindungen und Sichtweisen. Die weitgreifende Komplexität, die er dabei verdeutlichte, ließ den Zuschauer erstaunen; der Anspruch, mit dem S. Sprotte diese Thematik bewältigte, stiftete eine angenehme Verwirrung im Publikum und forderte intensivste Konzentration, die Verknüpfungen nachzuvollziehen. Sprotte beginnt, indem er den Satz zerlegt, seine Einzelteile hinterfragt: Was ist der Mensch von heute? Was ist Kunst? Was ist bildende Kunst, gebildete Kunst?
Kunst ist Erkennen - nicht Können, Kunst ist bildendes Erkennen. Erst zur Kenntnis nehmen und erkennen kann Kunst sein. Diese Abfolge wäre als „bildender Prozeß“ zu bezeichnen, mit einem Prozeß wiederum verbindet man Zeit. Braucht dieser „bildende Prozeß“ jedoch immer Zeit? Muß diese „Bewußt- werdung“ immer langsam entstehen, oder gibt es auch jene Form, die keine Zeit braucht? Für Siegward Sprotte ist die Antwort das „Aug 1 in Auge“. Im Gegensatz zum „Aug' um Auge“ ist das „Aug' in Auge“ für ihn zeitfrei.
Karl Hagemeister, dessen Meisterschüler der junge Sprotte war, hatte nach langem Naturstudium die Simultanität bei der Enstehung von Kunst entdeckt. Das Betrachten und Malen des Meeres waren gleich intensiv wie sein Lauschen auf die Brandung. Das Zugleich von Lau
schen und Sehen ergebe das Zugleich von Bildern und Erkennen, von Tun und Gewahrwerden, von Erkennen und Realisieren, von Bildern und Sprechen. Gerade jüngere Bilder Sprottes zeigen eine solche Si- multanrealisaton: Das „Wahrnehmen“ (Sehen) und „Wahrmachen“ (Tun, hier: das Malen) fallen zeitlich fast zusammen und sind somit oft bis zum Abstrakten reduziert. Solche Bilder entstanden „Aug 1 in Auge“. Der bildende Künstler soll nicht belehren, soll nicht als Gebildeter zum Ungebildeten sprechen. Er muß andere auf den Weg des Bildens bringen, auf den Weg des bildenden Erkennens. Für Siegward Sprotte hat Sprache die Tendenz, sich zu entfärben. Der Mensch, der farbig sieht, speist auch sein „Zur-Sprache- Kommen“ farbig. In einer Welt der Entweder-Oder-, Ja-oder- Nein-Entscheidungen müssen wir aufpassen, nicht schwarzweiß zu denken. Farbigkeit ist etwas, worauf man auch im Geist nicht verzichten kann! Gehört auch Licht zur Farbigkeit? Licht, die schnelle, nicht aber schnellste Geschwindigkeit? Was ist schnell? Rasch? Rascher? Über-raschung? Überraschung ist etwas Synchrones, Erkennen und Realisieren fallen auf einen Zeitpunkt. Es gibt keine Zeit, die dazwischenliegt. Auf diesem Weg kann Kunst entstehen.
Ein Bild solle etwas Entstehendes haben. Der Weg ist die Sache, nicht das Resultat. So sollte man nicht das Gesamtkunstwerk suchen, eher das Gesamtwirken.
„Ihr sollt nicht die Gesichter, sondern das Gesicht der Gesichter ansprechen.“ Siegward Sprotte - ein malender Philosoph oder ein philosophischer Maler? - Wir danken beiden.
Anne Mellin, Primarstufe 1. Studienjahr
Siegward Sprotte sprach vor Studierenden Foto: Tribukeit
In seiner dritten Vorlesung ging Im zeitlichen Nacheinander der Künstler Siegward Sprotte reift die Bewußtwerdung. Mich auf die Thematik „Der Appell faszinierte Sprottes Äußerung der Kunst an den Menschen von .über das Problem des Entfär- heute“ bezüglich philosophi- bens beim Sehen: dieses verkör- scher Meinungen und gesell- pere das Bewußtwerden von schaftlicher Umstände ein. Er „farbigen Notizen“ beim Spre- vertiefte seinen Standpunkt: chen, welche zunehmend ab- Bildende Kunst dürfe „nicht mit strahierend zum Schwarz-Wei- gebildeter Kunst, nicht mit ge- ßen übergehen. Träume, die im- bildetem Erkennen verwechselt mer mehr in die Vergangenheit und vertauscht“ werden. Die rücken, werden zum Schwarz- Kunst ist unzertrennlich ver- Weißen modifziert. Kann man bunden mit dem Werdenden auf die Farbigkeit verzichten? und dem Bildenden. Die Kunst, Meiner Meinung nach ergrauen erkennen zu können, ist das Ziel Träume, deren Ursache bedeu- vom Erkennen. Das bildende tende Begebenheiten und Wün- Erkennen gestaltet sich zum er- sehe meines Lebens waren, kennenden Bilden. Das Bilden- nicht so schnell wie es bei un- de geht ein in das Resultat des wesentlichen Ereignissen ge- Kunstwerkes. Während des schieht.
Produzierens wird die Leistung erkannt. Das Bewußtwerden der
Kenntnisnahme ist ein Bil- Katrin Fröhlich,
dungsprozeß, welcher Zeit be- Primarstufe
nötigt- 2. Studienjahr
Ich zwischen Liebe und Haß
unter diesem Titel erscheint Strophe? Frauen und Männer, im März ein Buch von Erika die mit jungen Leuten leben Berthold und Claudia von und arbeiten, erzählen. Eine Zglinicki im Dietz Verlag Ber- Sammlung authentischer Le- lin. Jugendliche im Osten bensgeschichten, zu denen Deutschlands - fremd, be- auch Erinnerungen an eigene drohlich, eine soziale Kata- Jugendjahre gehören.