Heft 
(1.1.2019) 03
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Nr. 3/94 - Seite 16

KULTUR

Siegward Sprotte:

Appell der Kunst an den Menschen von heute

Dritte Gastvorlesung des Künstlers

Zum dritten Mal hielt der gebür­tige Potsdamer Künstler Sieg­ward Sprotte - seit 1945 mit Wohnsitz und Galerie auf der Nordsee-Insel Sylt - einen Gastvortrag an der Universität Potsdam. Mit dem ThemaAp­pell der Kunst an den Menschen von heute legte Siegward Sprotte hohe philosophische Denkansätze einerseits ausein­ander und schaffte im Gegen­zug dazu neue, eigene Verbin­dungen und Sichtweisen. Die weitgreifende Komplexität, die er dabei verdeutlichte, ließ den Zuschauer erstaunen; der An­spruch, mit dem S. Sprotte diese Thematik bewältigte, stiftete eine angenehme Verwirrung im Publikum und forderte intensiv­ste Konzentration, die Verknüp­fungen nachzuvollziehen. Sprotte beginnt, indem er den Satz zerlegt, seine Einzelteile hinterfragt: Was ist der Mensch von heute? Was ist Kunst? Was ist bildende Kunst, gebildete Kunst?

Kunst ist Erkennen - nicht Kön­nen, Kunst ist bildendes Erken­nen. Erst zur Kenntnis nehmen und erkennen kann Kunst sein. Diese Abfolge wäre alsbilden­der Prozeß zu bezeichnen, mit einem Prozeß wiederum verbin­det man Zeit. Braucht dieser bildende Prozeß jedoch im­mer Zeit? Muß dieseBewußt- werdung immer langsam ent­stehen, oder gibt es auch jene Form, die keine Zeit braucht? Für Siegward Sprotte ist die Antwort dasAug 1 in Auge. Im Gegensatz zumAug' um Auge ist dasAug' in Auge für ihn zeitfrei.

Karl Hagemeister, dessen Mei­sterschüler der junge Sprotte war, hatte nach langem Natur­studium die Simultanität bei der Enstehung von Kunst entdeckt. Das Betrachten und Malen des Meeres waren gleich intensiv wie sein Lauschen auf die Bran­dung. Das Zugleich von Lau­

schen und Sehen ergebe das Zu­gleich von Bildern und Erken­nen, von Tun und Gewahrwer­den, von Erkennen und Reali­sieren, von Bildern und Spre­chen. Gerade jüngere Bilder Sprottes zeigen eine solche Si- multanrealisaton: DasWahr­nehmen (Sehen) undWahr­machen (Tun, hier: das Malen) fallen zeitlich fast zusammen und sind somit oft bis zum Ab­strakten reduziert. Solche Bil­der entstandenAug 1 in Auge. Der bildende Künstler soll nicht belehren, soll nicht als Gebilde­ter zum Ungebildeten sprechen. Er muß andere auf den Weg des Bildens bringen, auf den Weg des bildenden Erkennens. Für Siegward Sprotte hat Sprache die Tendenz, sich zu entfärben. Der Mensch, der farbig sieht, speist auch seinZur-Sprache- Kommen farbig. In einer Welt der Entweder-Oder-, Ja-oder- Nein-Entscheidungen müssen wir aufpassen, nicht schwarz­weiß zu denken. Farbigkeit ist etwas, worauf man auch im Geist nicht verzichten kann! Gehört auch Licht zur Farbig­keit? Licht, die schnelle, nicht aber schnellste Geschwindig­keit? Was ist schnell? Rasch? Rascher? Über-raschung? Überraschung ist etwas Syn­chrones, Erkennen und Reali­sieren fallen auf einen Zeit­punkt. Es gibt keine Zeit, die dazwischenliegt. Auf diesem Weg kann Kunst entstehen.

Ein Bild solle etwas Entstehen­des haben. Der Weg ist die Sa­che, nicht das Resultat. So sollte man nicht das Gesamtkunst­werk suchen, eher das Gesamt­wirken.

Ihr sollt nicht die Gesichter, sondern das Gesicht der Gesich­ter ansprechen. Siegward Sprotte - ein malender Philo­soph oder ein philosophischer Maler? - Wir danken beiden.

Anne Mellin, Primarstufe 1. Studienjahr

Siegward Sprotte sprach vor Studierenden Foto: Tribukeit

In seiner dritten Vorlesung ging Im zeitlichen Nacheinander der Künstler Siegward Sprotte reift die Bewußtwerdung. Mich auf die ThematikDer Appell faszinierte Sprottes Äußerung der Kunst an den Menschen von .über das Problem des Entfär- heute bezüglich philosophi- bens beim Sehen: dieses verkör- scher Meinungen und gesell- pere das Bewußtwerden von schaftlicher Umstände ein. Erfarbigen Notizen beim Spre- vertiefte seinen Standpunkt: chen, welche zunehmend ab- Bildende Kunst dürfenicht mit strahierend zum Schwarz-Wei- gebildeter Kunst, nicht mit ge- ßen übergehen. Träume, die im- bildetem Erkennen verwechselt mer mehr in die Vergangenheit und vertauscht werden. Die rücken, werden zum Schwarz- Kunst ist unzertrennlich ver- Weißen modifziert. Kann man bunden mit dem Werdenden auf die Farbigkeit verzichten? und dem Bildenden. Die Kunst, Meiner Meinung nach ergrauen erkennen zu können, ist das Ziel Träume, deren Ursache bedeu- vom Erkennen. Das bildende tende Begebenheiten und Wün- Erkennen gestaltet sich zum er- sehe meines Lebens waren, kennenden Bilden. Das Bilden- nicht so schnell wie es bei un- de geht ein in das Resultat des wesentlichen Ereignissen ge- Kunstwerkes. Während des schieht.

Produzierens wird die Leistung erkannt. Das Bewußtwerden der

Kenntnisnahme ist ein Bil- Katrin Fröhlich,

dungsprozeß, welcher Zeit be- Primarstufe

nötigt- 2. Studienjahr

Ich zwischen Liebe und Haß

unter diesem Titel erscheint Strophe? Frauen und Männer, im März ein Buch von Erika die mit jungen Leuten leben Berthold und Claudia von und arbeiten, erzählen. Eine Zglinicki im Dietz Verlag Ber- Sammlung authentischer Le- lin. Jugendliche im Osten bensgeschichten, zu denen Deutschlands - fremd, be- auch Erinnerungen an eigene drohlich, eine soziale Kata- Jugendjahre gehören.