PUTZ 3/99
Buchtips
Das Ende des Kapitalismus
„Die Franzosen werden entweder lernen müssen, aus ukrainischem Weizen gebackene Croissants zu essen oder eines Tages vor der Situation stehen, daß zwei Millionen Ukrainer in Paris leben”, erläutert Lester Thurow die Auswirkungen der internationalen Handelsverflechtungen. Eine skurile Vorstellung, oder?
Lester Thurow. schrieb ein Wirtschaftsbuch— so hat es zumindest dem Titel nach den Anschein. Um es vorwegzunehmen, es ist auch ein Buch über Wirtschaft, aber doch viel mehr als nur das. Thurow versteht es wie kaum ein zweiter, sein Werk einem breiten Leserkreis zu erschließen. Er greift Modelle aus der Geographie auf, unter
nimmt Streifzüge durch die‘
Antike, diskutiert die biologische Evolution und die religiöse Ethik. Er tut dies in einer Weise, daß es scheint, als würden die harten Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung nur nebenbei behandelt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Kapitalismus heute, als Sieger über Kommunismus und Sozialismus (er meint eigentlich die soziale Marktwirtschaft bzw. den sozialen Wohlfahrtsstaat), steht von der ersten bis zur letzten Zeile im Mittelpunkt: Ohne Feinde, ohne Wettbewerber zeigt er an verschiedenen„Tatorten“ seine Vorzüge und Schwachpunkte. Quasi scheibchenweise werden die Probleme des Kapitalismus bloßgelegt. Als Leser steigt man in ein Taxi und läßt sich von einer Säule seines Systems zur nächsten chauffieren. Reisebegleiter Thurow erzählt Anekdoten und zeigt, was seiner Weltsicht nach„den Kapitalismus im Innersten zusammenhält“. Mittelpunkt der Reise sind die Vereinigten Staaten, doch auch Ausflüge nach Europa und Asien stehen‘ auf dem Programm. Den Begriff Globalisierung verwendet der Autor sparsam und doch ist er präsent. Über die aktuellen Schwierigkeiten kann Thurow wundervoll philosophieren. So fragt er beispielsweise:„Warum sollte jemand einem amerikanischen Doktor der Physik 75.000 Dol
lar pro Jahr zahlen, wenn ein Nobelpreisträger aus der ehemaligen Sowjetunion schon für einen Bruchteil davon zu haben ist?“ Eine Frage, die jeden Nachwuchswissenschaftler auch in Deutschland interessieren sollte. Thurow dringt auch in die kleinste kapitalistische Keimzelle— in die Familie— ein, um festzustellen:„Männer, die ihre Familie im Stich lassen, können ihren Lebensstandard um real 73 Prozent erhöhen.“ Ohne allerdings zu verschweigen, daß dadurch der Lebensstandard der zurückgebliebenen Familie um 42 Prozent sinkt. Wie veraltet die klassische Familie heute wirklich ist, wird einem erst nach dem Lesen dieses Buches klar.(Keine Bettlektüre für angehende Ehepaare also!) In ähnlicher Art und Weise wird das Bevölkerungswachstum und der damit in Zusammenhang stehende Generationsvertrag thematisiert.
Thurow beleuchtet die großen politischen und ökonomischen Bündnisse, wie die EU oder die NATO, und untersucht sie auf ihre Wirksamkeit und ihre Entwicklung hin. Die Medienkultur dagegen wird nicht aufs Korn, sondern in Schutz genommen, mit einer Argumentation, die nur Ökonomen Eeinleuchtet: „Die Medien liefern einfach das, was sich verkauft und den höch
sten Gewinn verspricht.“ Die angeführten Fragmente sind willkürlich und selektiv. Sie sollen vermutlich den Leser zum Widerspruch anregen. Thurow gelingt es, den Leser einzufangen und für seine Anliegen einzunehmen: Langfristige Investitionen in das allgemeine Bildungswesen und in Infrastrukturmaßnahmen statt kurzfristiger Konsummaximierung. Nur so könne das„gestörte Gleichgewicht“ wieder in Ordnung gebracht werden. Thurows Buch ist ein echtes Teseerlebnis mit belletristischen Zügen. Es hinterfragt unseren Glauben an die„kapitalistische“ Gesellschaft, unsere Lebensansprüche und unsere Arbeitswelt und hält Ansätze für Lösungen bereit, denen man vielfach folgen mag, andererseits aber auch aus mitteleuropäischer Sicht mit gesunder Skepsis gegenüberstehen wird. Harald Sempf, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Lester C. Thurow: Die Zukunft des Kapitalismus. Erschienen in der 3. deutschsprachigen Auflage im Metropolitan Verlag, ISBN 3-89623-145-6, erhältlich im Buchhandel als Paperback für DM 29,90.
Venezuela
Wer in El Trompillo lebt, wird meist nicht älter als 49 Jahre. Jedes dritte Kind ist hier unterernährt. In dem Armenviertel am Rande der Stadt Barquisimeto im Nordwesten Venezuelas leiden vor allem alleinerziehende Mütter unter größter Armut. In dem Selbsthilfeprojekt„Equipo El Trompillero“ können die Menschen nicht nur Lesen und Schreiben lernen, hier werden
Treibende Kraft‘#"
auch Altkleider gesammelt, gewaschen und verkauft. Frauen sind in dem Selbsthilfeprojekt die treibende Kraft, sie sind besonders aktiv. Hier finden sie Rückhalt und neue Wege, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
„Brot für die Welt“ finanziert die Arbeit des Stadtteilprojekts. Mit Ihrer Spende helfen Sie, dieses und andere wichtige Projekte zu finanzieren.
Foto: Hardy Buller
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Mathematik für das Weltall
Im Frühjahr 1998 versammelten sich mehr Salsäähundert Kosmologen der mathematischen Richtung in Potsdam, um während eines einwöchigen Workshops die mathematischen Modelle zu diskutieren, mit denen heute versucht wird, das Universum zu beschreiben. 52 Vorträge sind nun in überarbeiteter Form in dem Fachbuch versammelt, welches eine Übersicht über den Stand der Debatte in der mathematisch orientierten Kosmologie gibt. PUTZ
Martin Rainer, Hans-Jürgen Schmidt(Hrsg.): Current Topics in Mathematical Cosmology, World Scientific Publishing, Singapore, 1998, 484 S., 88 US$.
CD-Rom
Den Jahrgang 1998S der Wissenschaftszeitschrift„Forschung& Lehre$ gibt es jetzt auf einer CD-Rom. Abrufbar sind damit Nachrichten aus Wissenschaft und Forschung sowie vielfältige Hintergrundinformationen zur Hochschulund Kulturpolitik des zurückliegenden Jahres. Eine Testversion der CD-Rom finden Interessenten im Internet unter http://www.forschung-undJlehre.de /cdrom. PUTZ
CD-Rom„Forschung& Lehre“, 24,50 DM zzgl. 3,50 DM Versandkosten. Bestellungen bei: Redaktion„Forschung& Lehre,,, Rheinallee 18, 53173 Bonn, Fax 0228/ 359947.
Leben in der DDR
Tagungsberichte zu Themen der DDR; dem Alltag in der Arbeitsgesellschaft und der Entstalinisierung sind im Bulletin des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung veröffentlicht. PUTZ
Sylvia Klötzer, Waltraud Peters, Martin Sabrow(Red.): Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien, Nr. 14, 1998, 67 S., 2 DM.
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