Kultur
PUTZ 3/99
Musikalische Gaumenfreuden
Aus der Geschichte synästhetischer Erfahrungen
Kürzlich entdeckte ich in den
Buchhandlungen eine neue| Reihe. Sie heißt„Cucina&|
Musica” und verspricht„ein Fest der Sinne“. Ich blättere in
dem prächtigen Band„Rossini.|
Eine kulinarisch-musikalische Biographie mit Rezepten und Klassik-CD“.
Das Eingangszitat des großen Maestro lautet:„Der Magen ist der Kapellmeister, der das große Orchester unserer Leidenschaften regiert und in Tätigkeit versetzt. Den leeren Magen versinnbildlicht das Fagott oder die Pikkoloflöte, wie er vor Mißvergnügen brummt oder vor Verlangen gellt. Der volle Magen ist dagegen die Triangel des Vergnügens oder die Pauke der Freude...Essen, Lieben, Singen und Verdauen, das sind wahrhaftig die vier Akte der komischen Oper, die das Leben heißt und die vergehen wie der Schaum einer Flasche Champagner. Wer sie verrinnen läßt, ohne sie genossen zu haben, ist ein vollendeter Narr.“ Werde ich also beim Genuß von Tournedos ä la Rossini dem„Largo al Factotum“ aus dem„Barbier von Sevilla“ lauschen, gesungen von einem wohlbeleibten Pavarotti?
Während ich darüber nachdenke, wird mir klar, was mich bei dieser Vorstellung zögern läßt. Es ist die Erinnerung an Theodor W. Adorno, der mein Verhältnis zur Musik entscheidend geprägt hat. Er war ein leidenschaftlicher Purist, ein geradezu priesterlicher Verfechter der Reinheit der hohen Musik. Nichts verabscheute er mehr als die Vorstellung eines bürgerlichen Eßzimmers, wo zu„Radiogedudel“ im Hintergrund Suppe und Sonntagsbraten im Familienkreise verzehrt werden. Musikhören war für ihn ein Akt der Meditation, der alle Sinne beansprucht, den Körper, die Phantasie, den Geist und die Seele. Das reale und materielle Nebeneinander konkurrierender Sinnesreize, der„Ohrenschmaus“ oder die„musikalische Gaumenfreude“, hatten in
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diesem Konzept keinen Platz. Das war nicht immer so.
Ursprünglich war die Musik eine ganz und gar soziale Kunst, und sie konkurrierte ganz selbstverständlich mit anderen Sinnesfreuden in einem ästhetisch-praktischen Gesamtkunstwerk. In der griechischen und römischen Antike hielt man die Sklaven an, die großen Symposien musikalisch zu begleiten. Petronius hat uns in seinem „Gastmahl des Trimalchio“ dafür ein beredtes. literarischess Zeugnis hinterlassen. Laut singend trägt: bei ihm der Koch die kunstvoll arrangierten Platten in den Speisesaal. Auch die LiebesMahlzeiten der‘ frühchristlichen Gemeinden waren von Musik begleitet. Musik als Unterhaltung zu festlichen Mahlzeiten, vielleicht aber auch als Ablenkung vom puren Genuß der Nahrungsaufnahme, ist aus dem alten Ägypten ebenso bekannt wie aus dem biblischen Judentum. Das setzte sich in der höfischen Kultur der Renaissance und des Barock fort. Die Bedeutung der Musik in diesen Epochen gründete sich auf ihre hervorragende Stellung innerhalb der höfischen Repräsentation, wo die festliche Mahlzeit einen bedeutenden Platz hat. Aus bildlichen Darstellungen des burgundischen Hofes oder vom Hochzeitsmahl des Herzogs Wilhelm V. von Bayern, das durch die Hofkapelle des Italieners Orlando di Lasso musikalisch begleitet wurde, wissen wir sogar, welche Kompositionen
man den einzelnen Gängen unterlegte. Die„Tafelmusik“ wird zu einer eigenen Gattung. Für die fürstliche Tafel zu komponieren und zu musizieren, gehörte zum festen Bestandteil der Anstellungsverträge von Hofmusikern, wie uns Georg Philip Telemann in seiner Autobiographie berichtet. Mozarts„Don Giovanni“ huldigt im Finale des 2. Aktes noch dem Brauch der Tafelmusik.
Köstlich duften und schmecken in unseren Ohren auch heute noch die musikalischen Titel des
17. Jahrhunderts. In Telemanns „Musique de table“ von 1733 sind die einzelnen Stücke zu „Gängen“ geordnet. Damit ist die Tafelmusik von der Begleitung selbst zur Hauptmahlzeit avanciert. Erst seit der Klassik verträgt sich der Autonomieanspruch von Musik nicht mehr mit ihrer Einbindung in andere lebenspraktische Kontexte. Die „ernste Musik“ beginnt auf die sogenannte„Unterhaltungsmusik“ herabzublicken und sie als minderwertig einzuordnen. Musik wird fortan in Konzertsälen, an öffentlichen Orten zelebriert, pur und unbehelligt von anderen konkurrierenden Formen des sinnlichen Genusses. Kenner schließen die Augen. Sie versagen sich der Gegenwart der
Selbst|
Welt, um sich dem reinen Genuß der Klänge hinzugeben. Keiner würde es mehr wagen, wie zu Stendhals Zeiten— den störte das übrigens auch— in den Logen der Mailänder Scala während der Opernaufführung zu soupieren.
In Berlin gibt es teure Feinschmecker-Tempel, die Menüs zu Originalkompositionen erfinden und festlich servieren. Mozarts„Kleine Nachtmusik“ zu Salzburger Nockerln, den abschließenden Mocca zu Bachs Kaffee-Kantate und die astronomische Rechnung zu Beethovens„Wut über den verlorenen Groschen“. Und doch zieht es mich nicht sehr dorthin. Die
| synästhetische Verschmelzung
verschiedener Sinnesgenüsse vollzieht sich für mich im Raum des Imaginären, im Reich der Phantasie. Sie ist, trotz Oper
| und Filmmusik, in meinem
Empfinden ein Werk der Einbildungskraft, der metaphorischen Assoziation, nicht das Produkt realer Gleichzeitigkeit. Man kann Mendelssohns„Lieder ohne Worte“ schmecken und riechen, ihre Klangfarbe sehen, sie als„Ohrenschmaus“ goutieren; dazu Passendes verspeisen möchte ich nicht. Eher schon halte ich es mit Boris Vian, dem Kult-Autor der jungen Existentialisten-Generation in den sechziger Jahren. Der Romancier und Jazz- Trompeter kreiert in seinem Buch„L’&cume des jours“..(„Der ‚Schaum der Tage“) ein Piano, das dank des Zaubers linguistisch-metaphorischer Transsubstantiation JazzMelodien in köstliche Cocktails verwandelt. Während auf den Tasten von einem potentiellen Kaufinteressenten„Misty Morning“ intoniert wird, entspringt den Klängen wie durch Zauberhand ein duftendes Getränk, perlgrau und pfefferminzgrün, gewürzt mit einer kaum spürbaren Prise Pfeffer und, einem kaum merklichen Anflug von Rauchgeschmack. Ich springe mit Vergnügen in den Text und proste dem Autor zu.
Prof. Dr. Helene Harth,
Institut für Romanistik