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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Franz Strunz: Die Traumerfahrung der Blinden

Von den jeweiligen Abweichungen ab­gesehen, gleichen sie im wesentlichen den Träumen Vollsinniger. Trotz des meist plötzlichen existenziellen Ein­bruchs sorgen gespeicherte Sinnessche­mata und aus den verbleibenden Kanä­len stammende Informationen für das unabdingbare Gefühl zeitlich-örtlicher Kontinuität. Wo Erleben ausfällt, wird es in den Ausfallmodi simuliert(Kerr et al. 1982). Wird ein Ausschnitt sinnlicher Wahrnehmung nicht voll perzipiert, so wird das Fehlende aus kortikal gespei­cherten Cues imaginiert. Der Traum ist die lediglich am leichtesten wahrnehm­bare Manifestation des geschilderten mentalen Prozesses. Genauso dürfte die Traumbildung Sehender nicht einfach sinnlich reproduktiv, sondern aus ge­speicherten Informationsschemata krea­tiv assoziierend und imaginierend von­statten gehen. Die Reichhaltigkeit der Traumphantasie wäre sonst kaum er­klärbar.

Literatur

Resümee

Die Erforschung der Blindenträume, wie sie seit nunmehr 140 Jahren betrieben wird, vermittelt uns also nicht nur an sich wissenswerte Kenntnis darüber, wie das Träumen der Blinden mit ihrer Behinde­rung zusammenhängt, sondern sie ist auch in der Lage, zum Verstehen des Funktionierens geistiger Aktivität im Wachen und Schlafen insgesamt beizu­tragen. Die methodische Sorgfalt hat durch die lange Zeit und Langsamkeit der Erforschung eher gewonnen. Sub­jektive Aussagen aus den Eindrücken mit wenigen Blinden, so wichtig sie sein mögen, traten zugunsten des Typischen, wie es aus der inhaltsanalytischen For­schung zutage kam, zurück. Replika­tionen der Arbeiten von Kirtley und Kol­legen, die durchweg zu geringe Samples zur Verfügung hatten, wären imstande, ihre Ergebnisse noch aussagekräftiger zu machen.

Daneben sind sorgfältige und kontrol­lierte Einzelfallstudien aus therapeuti­schen Bemühungen mit Blinden durchaus als Desiderat künftiger For­schungsarbeit auf diesem Gebiet ange­zeigt, da sie erst durch denSchnitt ins Leben, die Initiation des Lesenden in das Subjektiv-Emotionale, die innere Lebenswelt der Blinden und deren aus der Vergleichung vieler derartiger Be­richte möglicherweise hervortretende Charakterologie um diesen alten Ter­minus zu gebrauchen praktikable Hin­weise zu lindernder oder abhelfender Intervention böten. Denn erst die Be­sonderheiten subjektiver Befindlichkeit, wie sie sich als affektiver Reflex in den Träumen der Blinden spiegeln, könnten die spezifischen neuralgischen Punkte noch konturierter hervortreten lassen, um die die Behinderung ihr Leben, zu­sätzlich zur bestehenden allgemeinen Lebensmühe, erschwert hat, und geeignete therapeutische Schritte einlei­ten.

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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 2, 1987

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