Elternberatung bei aggressivem
Kindverhalten
Von Jürgen Drescher
Das Thema sind die Prinzipien einer ergänzend zur Verhaltensmodifikation bei aggressiven Kindern durchgeführten Elternberatung. Auf der Grundlage eines theoretischen Erklärungsmodells für gestörte Familienprozesse werden diagnostische Verfahren zur Erfassung der familiären Problematik erörtert. Die folgenden Abschnitte behandeln die Rahmenbedingungen der Elternberatung und deren Inhalte, die einem verhaltensmodifikatorischen Konzept entsprechen. Ein Fallbeispiel illustriert die Realisierung dieses Ansatzes sowie die statistische Effektkontrolle mittels Zeitreihenanalyse.
Subject are the principles of parents’ consulting supplying the modification of aggressive child behavior. Within the framework of a theoretical model explaining disturbed family processes diagnostic instruments to assess the family’s problems are discussed. The following paragraphs deal with the setting and the subjects of parents consulting based on the principles of behavior modification. A single-case illustrates the realisation of this concept including statistical evaluation by means of time-series analysis.
1. Einleitung
In den letzten Jahren sind eine Reihe von primär lerntheoretisch orientierten Elternberatungs- bzw. ElterntrainingsKonzepten entstanden(z.B. Ewe et al., 1977; Innerhofer, 1977; Müller& Moskau, 1978; Patterson, 1975; Perrez et al., 1985; Petermann& Petermann, 1984). Das gemeinsame Anliegen ist es, defizitäres elterliches Erziehungsverhalten zu verändern und den Eltern präventiv bzw. als Ergänzung zu einer Kindertherapie grundlegende Techniken der Verhaltensmodifikation zu vermitteln. Diese Ansätze berücksichtigten jedoch z. T. nicht genügend, daß kindliche Verhaltensstörungen auf komplxe Weise mit den verschiedensten Prozessen in der Familie veknüpft sind(vgl. Barton& Alexander, 1981). Die notwendige Konzepterweiterung wurde erst in neuerer Zeit realisiert, indem das familiäre Interaktionsgeschehen Gegenstand diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen wurde(z.B. Petermann, 1983; Petermann& Petermann, 1984).
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986
Die Ergänzung verhaltenstherapeuti
scher Interventionen bei Kindern durch
Elternberatung ist vor allem durch zwei
Argumente begründbar:
— Verhaltensstörungen im Kindesalter stehen in engem Zusammenhang mit der sozialen Interaktion in der Familie. Entstehungs- und aktuelle auslösende Bedingungen sowie aufrechterhaltende Faktoren dieser Störungen lassen sich in der ElternKind-Interaktion(Patterson, 1982), im elterlichen Erziehungsstil(Caesar, 1972, McCord, 1979), in PartnerKonflikten der Eltern(Oltmanns et al., 1979), in Geschwister-Konflikten usw. lokalisieren.
— Wenn eine Kindertherapie dauerhaft positive Effekte hervorbringen soll, müssen im sozialen Umfeld adäquate Voraussetzungen geschaffen werden. Es liegt daher nahe, die Eltern zu Co-Therapeuten auszubilden, die selbständig die grundlegenden Techniken der Verhaltensmodifikation anwenden können(vgl. Schmitz, 1976).
Die Doppelfunktion verhaltenstherapeutischer Elternberatung ist also, den „Familienanteil” kindlichen Problemverhaltens therapeutisch zu bearbeiten und gleichzeitig mit den Eltern verhaltensverändernde Techniken einzuüben.
2. Ein Erklärungsmodell für gestörte Familienprozesse
Im Bedingungsgefüge aggressiven Kindverhaltens spielen Familienkonflikte eine zentrale Rolle. Daher soll hier auf diese Zusammenhänge näher eingegangen werden.
Petermann(1983) hat ein Erklärungsmodell für gestörte Familienprozesse vorgeschlagen. Es soll hier am Beispiel aggressiven Kindverhaltens erläutert werden. Das Modell basiert auf der Grundannahme, daß„gestörtes”, symptomatisches Verhalten funktionalen Wert für wichtige Familienprozesse besitzt(vgl. Barton& Alexander, 1981) und aus diesem Grund aufrechterhalten
21