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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Jürgen Drescher: Elternberatung bei aggressivem Kindverhalten

wird. Aggressives Verhalten erhält z.B. seinen funktionalen Wert, indem es die Definition und Ausgestaltung sozialer Beziehungen festlegt. In unserem Fall­beispiel(s. Abschnitt 6) rechtfertigte das aggressive Verhalten eines Jungen die Kontrolle und Bevormundung durch seine ältere Schwester. Eine zweite Grundannahme betrifft das Vorliegen sozialer Rollen mit spezifischen Verhal­tenserwartungen an die einzelnen Fami­lienmitglieder. Der Erwerb rollenspezifi­schen Verhaltens kann mit Hilfe der so­zial-kognitiven Lerntheorie(Bandura, 1975) erklärt werden.

Das Erklärungsmodell unterscheidet ne­ben den Vorbedingungen drei verschie­dene Ebenen, auf denen gestörte Fami­lienprozesse zutage treten.

a) Vorbedingungen

Die ungleiche Verteilung von Aufgaben, Pflichten und Rechten kann eine Vorbe­dingung für Familienkonflikte sein. In unserem Fallbeispiel oblag der Mutter der größte Teil der Erziehungsaufgaben, während der Vater allenfalls in Krisensi­tuationen eingriff.

b) Rollenausgestaltung (individuelle Ebene)

Gestörte Familienprozesse finden auf dieser Ebene Ausdruck und gleichzeitig einen Teil ihrer Entstehungsbedingun­gen, wenn es an Freiräumen zur indivi­duellen Rollengestaltung fehlt. Dies ge­schieht z.B. durch Herausbildung von Koalitionen oder Etablieren von Hierar­chien, die dem Einzelnen keine Ent­scheidungsfreiheit lassen. In unserem Fallbeispiel bildete die Mutter mit ihren Kindern eine Koalition gegen den Vater, der einerseits in ein isolierte Position ge­drängt wurde, andererseits jedoch als Ernährer der Familie alle wichtigen Entscheidungen allein fällte. Den unter­sten Rang in der Hierarchie nahm das höchst unselbständige Problemkind ein.

C) Interaktionsverhalten (Beziehungsebene)

Die direkte Steuerung des symptomati­schen Verhaltens wird durch bestimmte Interaktionssequenzen geleistet. So sind kontrollierendes Verhalten, Sich-aus­

Entstehungsbedingungen von Familienkonflikten

a) Vorbedingungen Beispiele konkreter Äußerungsformen

Ungleiche Verteilung_ von Aufgaben, Rechten und Pflichten

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b) Rollenausgestaltung (Individuelle Ebene)

Herausbildung fester Koalitionen in der Fami­lie

Etablierung einer rigiden Hierarchie

c) Interaktionsverh:

Kontrollieren un gen

Sich aus dem Weg gehen

Selektive oder verfälschte Informationen übermit­

teln

(Beziehungsebene)

dem-Weg-Gehen, Übermittlung selekti­ver bzw. verfälschter Informationen oder entwertendes Verhalten gegenüber anderen charakteristisch für gestörte fa­miliäre Interaktionen. In unserem Bei­spielfall beschränkte sich die Vater­Sohn-Interaktion fast ausschließlich auf Verhaltensanweisungen an den Sohn und heftige Auseinandersetzungen bei deren Nicht-Befolgen.

d) Problemverhalten (funktionale Ebene)

Hier sind die aufrechterhaltenden Be­dingungen des symptomatischen Ver­haltens lokalisiert. Dazu gehört etwa die übermäßige Bevormundung des Symp- ­tomträgers, der sich durch aggressives Verhalten zu entziehen versucht und da­mit umso mehr Bevormundung recht­fertigt. Das Problemverhalten definiert gemeinsame oder individuelle Aufga­

Abb. 1: Verschiedene Ebenen von Familien­konflikten und Beispiele von Äußerungsformen gestörter Familienprozesse(nach Petermann, 1983, S. 120).

Aufrechterhaltende Bedingungen

d) Problemverhalten (Funktionale Ebene)

alten

Übermäßiges Bevormun­den

Definieren von gemein­samen oder individuellen Aufgaben aufgrund des Verhaltens des Symptomträgers

d Einen­

Entwertung des Partners,

Intoleranz

Selbstwertstabilsisierung durch soziale Vergleichs­prozesse innerhalb der Familie

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1986