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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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C. Klicpera und S. Schachner-Wolfram: Entwicklung der Lesefähigkeit während des ersten Schuljahres; 2. Entwicklung des Leseverhaltens

Abschlußtestung: Bei allen Kindern wur­de 3 Wochen vor dem Ende des ersten Schuljahres der Leistungsstand im Le­sen anhand eines standardisierten Lese­tests, der Wiener Leseprobe, bestimmt. Nach der Anzahl der Lesefehler auf der Wiener Leseprobe wurden die Kinder in 2 Gruppen unterteilt, in gute Leser und in leseschwache Kinder. Als gute Leser wurden alle Kinder bezeichnet, die we­niger Fehler begingen als der Gesamt­durchschnitt. Als leseschwach galten je­ne Kinder, die im Abschlußtest mehr Le­sefehler als der Durchschnitt begingen.

Statistische Auswertung: Die Ergebnisse der fünf Testzeitpunkte wurden zu drei Untersuchungsabschnitten zusammen­gefaßt: Anfang(1. Testzeitpunkt), Mitte (2. und 3. Testzeitpunkt) und Ende(4. und 5. Testzeitpunkt) des Schuljahres. Zur Bestimmung von Veränderungen in der Qualität der Lesefehler und im Lese­verhalten, die durch den Entwicklungs­stand im Lesen bedingt sind, wurden die Meßwerte der drei Untersuchungsab­schnitte bei bekannten, neuen und Pseu­dowörtern miteinander verglichen. In multivariaten Varianzanalysen wurden einerseits der Einfluß des Testzeitpunk­tes und der Textart(als wiederholte

Messungen), andererseits der Einfluß der Zugehörigkeit zur Gruppe der guten und schwachen Leser geprüft. Da eine Bewertung der Fehlerqualität nur vorge­nommen werden konnte, wenn bei einer Aufgabe Fehler begangen worden wa­ren, lagen für diese Analysen wiederholt fehlende Werte vor. Bei der qualitativen Fehleranalyse und den Selbstkorrektu­ren und von Fehlern wurden daher der erste und zweite sowie der zweite und dritte Untersuchungsabschnitt getrennt miteinander verglichen.

Ergebnisse Qualitative Fehleranalyse

Graphische Ähnlichkeit zwischen den Le­sefehlern und den Zielwörtern: Die graphi­sche Ähnlichkeit der Fehler war sowohl von der zu lesenden Wortart wie von der Dauer des bisher erfolgten Leseunter­richts abhängig. Der Anteil an Fehlern mit großer graphischer Ähnlichkeit zu den zu lesenden Wörtern nahm von An­fang bis zur Mitte des Schuljahres be­trächtlich zu(F(1,9)= 16.5; p< 0.01)

ÄHNLICHKEITEN MIT DEM ZIELWORT GROSS I

(Abb. 1). Zu beiden Zeitpunkten be­stand ein deutlicher Unterschied zwi­schen bekannten und neuen Wörtern in der graphischen Ähnlichkeit der Fehler (F(1,9)= 7.7; p< 0.05). Vor allem beim ersten Testzeitpunkt wies von den Feh­lern, die bei bekannten Wörtern began­gen wurden, nur ein sehr geringer Teil eine große graphische Ähnlichkeit zu den Zielwörtern auf. Dagegen waren mehr als die Hälfte der Fehler bei neuen Wörtern bereits zum ersten Testzeit­punkt den Zielwörtern sehr ähnlich und etwa 3/4 der Fehler bei Pseudowörtern wiesen ebenfalls große Ähnlichkeit zum Zielwort auf. Bei den bekannten Wör­tern kam es vom ersten zum zweiten Testzeitpunkt zu einer starken Zunah­me von Fehlern mit großer graphischer Ähnlichkeit, in der Folge war dann der Anteil an Fehlern mit großer graphi­scher Ähnlichkeit kontinuierlich relativ hoch. Auch in der zweiten Hälfte des Schuljahres waren aber noch gewisse Unterschiede zwischen den Wortarten festzustellen. Die graphische Ähnlich­keit von Fehlern bei bekannten Wörtern war geringer als bei Fehlern bei neuen Wörtern(F(1,8)= 5.4; p<0.05), hier war wieder die graphische Ähnlichkeit in der Tendenz geringer als bei Pseudowör­

Abb. 1: Prozentsatz an Fehlern zu den 5 Testzeitpunkten, die eine große graphische Ähnlichkeit zum Zielwort aufweisen. I. Leseaufgaben mit bekannten Wörtern. II. Leseaufgaben mit neuen Wörtern. III Leseaufgaben mit Pseudowörtern. In der ersten Säule ist jeweils der Mittelwert und die Streuung für die Gruppe der guten Leser, in der zweiten Säule der Mittelwert und die Streuung für die Gruppe der schwachen Leser dargestellt.

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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG 1/1988