W.E. Fthenakis, R. Niesel& R. Oberndorfer+
Die Bedeutung des Vaters in geschiedenen und wiederverheirateten Familien
5. Integration schließlich auch der umgebenden Systeme des sozialen Netzes(Garfield 1980; Sager, Brown, Crohn et al. 1983)
Diese Aufgaben sind aus mehreren Gründen erschwert: So muß die Anpassung an die Partnerschaft und an die Kinder in der Familie vom neuen Partner gleichzeitig geleistet werden. Da zum Beispiel zwischen Kindern und Stiefeltern keine gewachsenen Beziehungen bestehen, können Konflikte in der Form von Loyalitätskonflikten der Kinder und Rivalitäten der Erwachsenen entstehen. Dafür, daß die Kinder Mitglieder in mehr als einem Haushalt sind, existieren keine gesellschaftlich normierten Erwartungen und Handlungsmuster, was Unsicherheit und Streß bedingt. Dies bildet das Kernstück der These Cherlins von der fehlenden Institutionalisierung der Stieffamilie(Cerlin 1978). Ihr wurde jedoch entgegengehalten, daß gerade die Notwendigkeit, die Regeln des familialen Umgangs und das Definieren der Rollen individuell zu gestalten, den Zusammenhalt und das Funktionieren der Familie besonders fördern könnten(Halliday 1980).
Auch hinsichtlich der Funktion von Stiefeltern gibt es keine sozial eindeutig definierten Rollen und Modelle; Stiefeltern müssen sich sogar mit negativen Einstellungen zu ihrer Rolle auseinandersetzen. Ebenfalls Bestandteil der These Cherlins(1978); Giles-Sims(1984) wies die fehlende Rollendefinition anhand unklarer Erwartungen an Stiefeltern empirisch nach. Negative Selbstbilder von Stiefvätern fanden auch Bohanan & Erickson(1978).
Ein häufig zu beobachtender Versuch von Stieffamilien, diese komplexen Fragestellungen zu bewältigen, läßt sich mit „Imitation einer Kernfamilie‘“ umschreiben(zum Beispiel Jacobson 1979, 1980; Krähenbühl, Jellouschek, Kohaus-Jellouschek et al. 1984; Schulman 1972). Dabei wird versucht, sowohl die Beziehungen innerhalb des Haushaltes als auch das Bild der Familie nach außen nach
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dem Vorbild einer Kernfamilie zu gestalten: von Kindern und Stiefeltern wird das sofortige Herstellen einer engen emotionalen Eltern-Kind-Beziehung gefordert und vom Stiefelternteil wird zudem erwartet, daß er eine, tradierten Rollenvorstellungen entsprechende, Erziehungsfunktion übernimmt, während der außerhalb lebende Elternteil der Kinder aus dem Familiensystem verdrängt werden soll.
Interventionsmaßnahmen für Stieffamilien
Interventionsmaßnahmen für Mitglieder von Stieffamilien sind bislang in der Literatur in zwei Bereichen beschrieben worden:
1. Vorbereitung auf die Anforderungen, die das Zusammenleben in einer Stieffamilie an ihre Mitglieder stellt, und
2. Hilfen bei akuten Problemen der Mitglieder von Stieffamilien.
Zu 1.: Die Vorbereitung auf Wiederheirat und Stieffamilie(Carter& McGoldrick 1980; Messinger 1976; Messinger& Walker 1981; Ransom, Schlesinger& Derdeyn 1979) hat in erster Linie den Schwerpunkt, realistische Erwartungen hinsichtlich der besonderen Anforderungen, die die komplexe Struktur der Stieffamilie an die Anpassung ihrer Mitglieder stellt, zu schaffen. Diese Vorbereitung kann innerhalb von Beratungsoder auch Bildungseinrichtungen geleistet werden(Nichols 1977).
Wichtig ist der Einbezug aller wichtigen Mitglieder der Familie sowohl in die Überlegungen zukünftiger Gestaltung der familiären Beziehungen als auch, soweit wie möglich, in die vorbereitende Beratung selbst(vgl. auch Sager, Walker, Brown et al. 1981).
Zu 2.: Konflikte innerhalb der Stieffamilie, die besonders häufig im Zusammenhang mit der Erziehung der Kinder auftreten, sind dagegen ein genuines Ar
beitsfeld für intensiv beratende und therapeutische Intervention. Die Vorschläge umfassen Gruppenprogramme für
wiederverheiratete Eltern(Jacobson
1979; Messinger, Walker& Freeman
1978; Mowatt 1972; Prosen& Farmer
1982), Verfahren zu verbesserter Wahr
nehmung unterschiedlicher Erwartungen
und Bedürfnisse(Brady& Ambler 1982; Carter& McGoldrick 1980; Kirby 1981) einschließlich psychoanalytischer Selbsterfahrung und Kommunikationstraining (Nadler 1983) sowie therapeutische Unterstützung(Kleinman, Rosenberg&
Whiteside 1979; Sager, Brown, Crohn et al. 1983; Whiteside& Auerbach 1978) bei der Stärkung der Partnerschaft der Eltern und bei der Bewältigung von Konflikten anderer Subsysteme im Gesamtsystem der Stieffamilie(Carter& McGoldrick 1980; Goldmeier 1980; Peck 1974; Ransom, Schlesinger& Der
deyn 1979; Sager, Brown, Crohn et al.
1983).
Wenn die Integration aller Mitglieder ge
lingt, bietet die Stieffamilie den Kindern
einen erweiterten Erfahrungsspielraum
mit differenzierten Beziehungen zu Er
wachsenen und mit einem erweiterten
verwandtschaftlichen und_quasi-ver
wandtschaftlichen Netz. Sie kann also
durchaus positive Entwicklungschancen
für die Kinder beinhalten.
Vielen Stieffamilien gelingt die Anpas
sung an die komplexen Aufgaben jedoch
nicht. Nach Daten aus den USA ist die
„Wieder-Scheidungs-Rate‘“‘ mindestens
ebenso hoch wie die Scheidungsrate bei
ersten Ehen. Dies zeigt in den USA in
neuerer Zeit Glick(1984); hierfür wer
den besondere Schwierigkeiten von Stief
familien(v. a. Cherlin 1978) verantwort
lich gemacht, aber auch eine geringere
Schwellenangst vor einer erneuten Schei
dung(Hallidy 1980). Schwierigkeiten
mit den Kindern— das am meisten ge
nannte Problem von Mitgliedern von
Stieffamilien— scheinen in der Tat der
Hauptgrund für erneute Scheidungen zu
sein.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 3, 1988