Ulrike Petermann
ler mit unterdurchschnittlicher Begabung keinen Eingang in die Verhaltensgestörten-Schule finden(Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 17.11.1977). Den Aussagen der Stichprobe zufolge liegt in der Hälfte der Schulen eine Kopplung der Erziehungshilfe-Schule mit der Lernbehinderten-Schule vor, in 70% der Schulen kombiniertes Auftreten von Lernund Verhaltensstörungen. Zu beachten ist, daß die Einstufung der Begabung eines Schülers mit Intelligenztests erfolgt. Die Interpretation solcher Daten hängt in hohem Maße von der Motivation und dem Verhalten des Probanden in der Testsituation ab. Gerade bei verhaltensgestörten Schülern ist mit mangelnder Lern-(Saueressig 1987) und Testmotivation zu rechnen, die die Testleistung beeinträchtigen. Zu bedauern ist, daß die Mehrzahl der befragten Verhaltensgestörten-Schulen keinen Ganztagesbetrieb anbieten. Helbig(1988) befürwortet die Einführung der Ganztagesschule wegen ihres erweiterten Zeitangebotes, in dem die Umsetzung therapeutischer Prinzipien eher möglich ist. Gleichbleibende Tagesorganisation als Ziel für die Verhaltensgestörten-Schule (Saueressig1987; Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 17.11.1977) lieBe sich in einer Ganztagesschule leichter verwirklichen. Da in einer Ganztagesschule die Schüler länger betreut werden, bleiben aufgestellte Regeln und Rituale über einen größeren Zeitraum wirksam. Zudem ließen sich an einer Ganztagesschule Maßnahmen wie Hausaufgabenbetreuung besser realisieren. Im Sinne einer Prophylaxe wären zusätzliche Einrichtungen im Rahmen der vorschulischen Betreuung wie Frühberatung, Sonderkindergarten oder Sondervor
9, Literatur
Sonderschulen für verhaltensgestörte Kinder
schulklassen sinnvoll. Die Ergebnisse zeigen, daß derartige Einrichtungen nur selten Teil einer VerhaltensgestörtenSchule sind. Die Finanzierung obliegt häufig privaten Trägern, wobei die Mehrzahl der befragten Schulen für Verhaltensgestörte einer Jugendhilfeeinrichtung angeschlossen sind.
Hinsichtlich der personellen Ausstattung fällt auf, daß vorwiegend Sonderschullehrer-meist mit der Zusatzqualifikation für„verhaltensgestörte Kinder/Erziehungshilfe‘“ bzw.„lernbehinderte Kinder“— an der Schule für Verhaltensgestörte beschäftigt sind, selten jedoch andere Berufszweige des sozialen Sektors. Entsprechend nehmen etwa ein Drittel der befragten Schulen keine externen Angebote wie z.B. Therapien wahr. Eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Optimierung der erzieherischen Effekte wäre dagegen wünschenswert. Aufallend ist zudem das Fehlen von weitergehender Unterstützung des Lehrpersonals in 30% der befragten Schulen. Bezogen auf die Betreuung der Schüler werden nur in der Hälfte der befragten Schulen außerschulische Lernhilfen angeboten. Genannt werden Hausaufgabenbetreuung— bei meist bestehender Hausaufgabenpflicht—, Tagesbetreuung sowie Einzelbetreuung. Hausaufgabenbetreuung wird in der Literatur verschiedentlich gefordert(Saueressig 1987; Rodeck-Madsen& Gebbardt 1987). Sie kann im Sinne eines Hausaufgabenprojekts mit festen, klar formulierten Verhaltensregeln sowie räumlicher Trennung von Arbeits- und Spielbereich realisiert werden(Havers 1981). An den befragten Schulen für Verhaltensgestörte erfolgt eine Regelung der Hausaufgabenerfüllung u.a. durch Vorgabe fester Zeiten
sowie durch Festlegung von Gruppen. In der Literatur wird weiterhin der Einsatz von Regeln und Ritualen betont(Herz 1988). Dabei sollten Regeln klar und eindeutig formuliert sein und häufig wiederholt werden(Herz 1988). In der Studie wurden in erster Linie Rituale wie feste Klassenzimmer und Sitzplätze genannt, gefolgt von gemeinsamer Einnahme des Frühstücks und dem Abhalten einer Morgenandacht.
Elternarbeit als notwendige Ergänzung zur Betreuung verhaltensgestörter Schüler(Havers 1981; Hohwieler 1986) wird in der befragten Stichprobe vorwiegend durch Einzelgespräche, Elternabende, Elterntage und Hausbesuche realisiert. Erfreulich ist der relativ hohe Anteil an Hausbesuchen, welche sichnach RodeckMadsen und Gebbardt(1987) besonders für Eltern eignen, die nicht zu Gesprächen in die Schule kommen. Sinnvoll kann die Ausbildung der Eltern zu Therapeuten oder Kotherapeuten sein(Havers 1981). Eine derartige Erweiterung der Elternarbeit konnte in der vorliegenden Studie nicht beobachtet werden. Hinsichtlich der architektonischen Gestaltung existieren nur in einem Drittel der befragten Schulen Rückzugsmöglichkeiten für Schüler und nur in 20% ein persönlicher Bereich. Derartige Baumaßnahmen wären vor allem in Ganztagesschulen von Bedeutung, in denen die Schüler den Großteil ihrer Zeit verbringen. In der Literatur finden sich zusätzliche Empfehlungen für die bauliche Gestaltung, die sich auf die klare Trennung von Arbeits- und Spielphase(Havers 1981), auf Arbeitskabinen für die Einzelarbeit(Saueressig 1987) sowie auf Spiel- und Kuschelecken(Saueressig 1987) beziehen.
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