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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Annemarie Fritz& Reinhard Keller+

die Umsetzung der Idee ins Spiel. Die Notwendigkeit zur Handlungsplanung wird den Kindern in diesem Handlungs­rahmen unmittelbar einsichtig und findet selbstverständlich vor der Durchführung jedes Spielthemas sowie vor der Erwei­terung und Veränderung einzelner Aspek­te innerhalb der Themen statt.

Übertragung der Methode in den allgemeinen Unterricht

Als wesentlicher Bestandteil des hand­lungsorientierten Unterrichts war die Fortführung der Methode in den allge­meinen Unterricht genannt worden, um auf der Basis materiellen Tuns schulische Lernfähigkeit anzubahnen. In vielfälti­ger Weise und in unterschiedlichen Fä­chern können die im spiel- und hand­lungsorientierten Unterricht erworbenen Erfahrungen im Fachunterricht vertieft und auf andere Erkenntnisebenen über­tragen werden. So kann z.B. im Sach­kundeunterricht das Thema Schiffe auf­gegriffen und bearbeitet werden(z.B. welche Schiffe gibt es, warum können Schiffe auf dem Wasser fahren? Experi­mente mit Materialien: Was schwimmt, was geht unter?). Im Deutschunterricht stellt für die Kinder die Herstellung der Schilder eine sinnvolle Tätigkeit dar. Außerdem können mit den Kindern Ge­schichten über die ersten Seefahrer, ge­fährliche Schiffsreisen und die Entdek­kung ferner Länder gelesen werden. Ein Ausflug zu einemechten Hafen kann unternommen und im Kunstunterricht eine Hafenanlage aus Knete, Ton, Holz, Papier etc. gebastelt werden.

Lernen auf der Handlungsebene wird damit durch ein Lernen auf der kognitiven Ebene ergänzt, wobei beide Ebenen sich in beständigem Austausch befinden. Die Erfahrungen aus dem spiel- und hand­lungsorientierten Unterricht bleiben da­mit nicht als isolierte Erfahrungen aus dem geschütztenTurnhallen-Unter­richt bestehen, sondern werden zu ver­allgemeinerbaren Erfahrungen und all­gemeinen Handlungsstrukturen. Das Pro­blem vieler Fördermaßnahmen, daß kein Transfer aus den Erfahrungen der För­derstunden auf die Schul- und Alltags­

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situation der Kinder geschieht, trifft für einen so angelegten Unterricht nicht zu. Hinzu kommt, daß die Klassenlehrerin­nen und Klassenlehrer, ausgehend von ihrer Teilnahme am spiel- und hand­lungsorientierten Unterricht, das Prinzip der gemeinsamen Planung von Handlun­gen in ihren Unterricht übernehmen.

Vermittlung spezifischer Problemlösefertigkeiten, sozialer Kompetenz, Schulzufriedenheit und Anstrengungsbereitschaft

Neben dem Aufbau von Planungsfä­higkeit waren weitere Ziele im kognitiven, sozialen und motivationalen Bereich mit dem spiel- und handlungsorientierten Un­terricht verbunden worden. Um die Ver­mittlung dieser Ziele hier nicht ausführ­lich darzustellen, ist in der Abbildung 1 ein allgemeiner Überblick über die schritt­weise Vermittlung dieser Ziele, die Pha­sen des Konzepts und die Übertragung in den Unterricht gegeben worden. Allgemein wird durch das Angebot des spiel- und handlungsorientierten Unter­richts in der Schule erwartet, daß, ebenso wie beim Umgang mit generativen The­men(Preuss-Lausitz 1981), die persönli­che Bedeutsamkeit der Themen die beste Voraussetzung dafür ist,daß Schüler bereit sind, bestimmte Kompetenzen zu erwerben, nämlich solche, mit denen sie ihre eigenen, jeweils bedeutsamen Pro­bleme selbst bewältigen können(Korn­mann& Ramisch 1984, 23). Die über das Interesse geschaffene positive Motiva­tion für das Spiel wird ausgenutzt, um gezielt spezifische Problemlösefertig­keiten innerhalb der einzelnen Themen zu vermitteln. Die Freude am Spiel führt außerdem dazu, daß die Lernerfahrungen in positiv getönter Weise im Gedächtnis abgespeichert werden.

Die positive Besetzung der Spielstunden fördert die Schulzufriedenheit, und da in den Stunden das leistungsfreie Spiel im Vordergrund steht, wird von den Kindern kein Mißerfolg erlebt. Von den individu­ellen Entwicklungsvoraussetzungen aus­gehend werden die Kinder für ihre An­strengungen verstärkt, und das Gefühl,

Entwicklungsförderung in einem spiel- und handlungsorientierten Unterricht

etwas Produktives geschaffen zu haben, stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder. Soziale Kompetenzen werden im Rol­lenspiel vermittelt, und die gemeinsa­men verbalen Absprachen zur Planung der Handlungen fördern sowohl die Kommunikations- als auch Koopera­tionsfähigkeit.

Insgesamt kann festgestellt werden, daß ein zweijähriger spiel- und handlungs­orientierter Unterricht einen ausgezeich­neten Rahmen dafür hergibt, Kompeten­zen wie ein stabiles Sozialverhalten und Anstrengungsbereitschaft aufzubauen.

Evaluation

Zum derzeitigen Zeitpunkt liegen noch keine konkreten Evaluationen zur Ef­fektivitätskontrolle des spiel- und hand­lungsorientierten Unterrichts vor. Diffe­renzierte Kontrollgruppenstudien sind für das kommende Schuljahr geplant.

In einem 6-wöchigen Turnus findet ein Lehrertreffen aller aktuell beteiligten Lehrerinnen und Lehrer statt, in dem Erfahrungen ausgetauscht und Rück­meldungen gegeben werden. Hervorge­hoben wird von allen Beteiligten die kindgerechte Form des Unterrichts, die es allen Kindern ermöglicht, mit Spaß und Freude am Unterricht teilzunehmen. Übereinstimmend betonen alle die posi­tiven Auswirkungen auf das Sozial­verhalten der Kinder. Als verblüffend wird häufig die zunehmende Selbstän­digkeit der Kinder beobachtet, die sich in der eigenständigen Planung der kom­plexen Spielhandlungen zeigt.

Nicht unberücksichtigt bleiben sollen auch die von den Lehrerinnen und Lehrer wahrgenommenen Veränderungen im eigenen Verhalten, die sich auf die ge­samte Unterrichtsgestaltung positiv aus­wirken. Sie bauen Ängste ab, finden zu kooperativen Umgangsformen mit den Kindern, die wiederum mehr Raum las­sen für freies und selbstbestimmtes Ar­beiten der Kinder.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993