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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Editorial

Die meisten menschlichen Tätigkeiten bedürfen zu ihrer Vollendung der Auf­merksamkeit und Konzentration. Diese zu erbringen, kostet im Kindesalter viel­fach besondere Mühe, müssen doch Handlungsmuster erst angeeignet wer­den, über die Erwachsene im Allgemei­nen verfügen. So sind viele Schüler­probleme auch Konzentrationsprobleme. Der Verfasser dieses Vorworts hatte in den zwei Jahrzehnten seiner früheren Tätigkeit in der Kinder- und Jugendpsy­chiatrischen Abteilung einer Universi­tätsklinik dafür laufend Lösungen zu er­bringen. Er erlebte die Weiterentwick­lung der aus dem seinerzeit dominie­renden MCD-Konzept abgeleiteten Auf­fassungen und orientierte sich lange Zeit u.a. an den heute schon alsKlas­siker zu betrachtenden Autoren wie Mierke(1957) oder Düker(1959), de­ren Standpunkte aber durchaus mit mo­dernen Theoriekonzepten vereinbar er­scheinen.

Im Ergebnis dieser Arbeit entstand die 1984 veröffentlichteTestreihe zur Prü­fung der Konzentrationsfähigkeit (TPK), der das Konzept einer tätigkeits­bezogenen Konzentration zugrundelag, d.h. sie sollte in ihren 3 Bestandteilen modellhaft die wechselnden komplexen Konzentrationsanforderungen etwa ei­ner Schulstunde widerspiegeln, womit auch eine relativ hohe Validität erreicht wurde.(Die dazu gerade durchgeführ­ten Ost-West-Normvergleiche sind noch nicht abgeschlossen, so daß sie in die­sem Heft leider noch keine Aufnahme finden konnten.)

Es gehörte zur Aufgabe des Editorial­Verfassers, für die Gestaltung dieses Themenheftes einschlägig hervorgetre­tene Autoren zu gewinnen, die bereit waren, ihre Ergebnisse hiermit auch ei­nem größeren pädagogisch-psychologi­schen Interessentenkreis, insbesondere aus der Heil- und Sonderpädagogik, zu­gänglich zu machen. Der Leser sollte querschnitthaft möglichst auch unter­schiedliche Auffassungen kennenlernen.

Wie weit das Vorhaben gelungen ist, möge er selbst beurteilen. Im Folgen­den soll eine kurze Einstimmung auf die Themen des Heftes erfolgen: Kleber und Stein weisen in ihrem Arti­kel zu Beginn des Heftes auf die Spezi­fik der Konzentrationsprobleme in der Schule in Abhängigkeit von dem inter­aktionellen Bedingungsgefüge hin und warnen vor einer oberflächlichen Dia­gnostik. Der praktisch tätige Pädagoge sollte sich aber von der schwer durch­schaubaren Komplexität nicht entmu­tigen lassen, sondern sich dieser gerade stellen. Die Graphiken der beiden Auto­ren erleichtern den Einstieg.

Westhoff erläutert in Verbindung mit einer begrifflichen Klärung mit Hilfe seines Akku-Modells die Koordinati­onsmechanismen der Konzentration. Einen Kernpunkt seines Artikels bildet die Darstellung einer anwendungsfä­higen Strategie für pädagogische Dia­gnostik und Intervention bei Konzen­trationsproblemen im mittleren bis älte­ren Schulalter bzw. ihre Erweiterung durch eine entscheidungsorientierte psy­chologisch-diagnostische Strategie. Erst unter Beachtung der vielfältigen diagno­stischen Aspekte werden dann sinnvolle Interventionen möglich, über welche ein Überblick gegeben wird. Dabei stehen Handlungskoordinierung und Arbeitsstil im Vordergrund, während bezüglich der Übung mit nur einem Aufgabentyp auf die Probleme des fehlenden generellen Transfers hingewiesen wird.

Die folgenden auf einer kinderpsychia­trisch-psychologischen Zusammenarbeit beruhenden Ausführungen von Kinze und Barchmann schließen sich fast naht­los an. Im Vordergrund stehen hier die Hinweise auf mögliche Verbesserungen der Konzentration durch Anwendung des verhaltenstherapeutisch orientierten Konzentrations-Trainings-Programms von Barchmann für jüngere Schulkin­der. Wegen der häufigen Kombination mit impulsiven und aggressiven Verhal­tensweisen erwies sich die gemeinsame

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993

Anwendung mit dem Trainingspro­gramm von Petermann als günstig, wo­bei auch eine Pharmakotherapie als er­gänzende Behandlungsform betrach­tet wird.

Im letzten Artikel dieses Heftes ver­schiebt sich dann der therapeutische Schwerpunkt weiter in Richtung hy­peraktive Verhaltensweisen. I. Wagner und Mitarbeiterinnen gehen nach der Erörterung von diagnostischen Kriteri­en und Erklärungsansätzen auf Modi­fikationsmöglichkeiten durch ein von ihnen entwickeltes, ebenfalls vor allem lerntheoretisch begründetes, Elterntrai­ning ein. Die eingefügte Fallschilderung macht den schwer reduzierbaren Auf­wand der Behandlung im häuslichen Milieu, die als Voraussetzung für die erzielten Verhaltensverbesserungen gilt, deutlich.

Es wurden noch weitere Autoren wegen eines Beitrages zum Thema angefragt, die jedoch in dem zur Verfügung ste­henden Zeitraum dem Angebot nicht fol­gen konnten, was zu bedauern ist, aber andererseits auch akzeptiert werden muß. Erfreulich ist, daß Lauth und Schlottke zumindest indirekt in diesem Themenheft vertreten sein können dank der ausführlichen Rezension ihres Bu­ches überTraining mit aufmerksam­keitsgestörten Kindern durch Linder­kamp, aus der auch ein Überblick über das mehrere Bausteine enthaltende um­fassende Therapiekonzept der Auto­ren gewonnen werden kann. Schließlich sei der Leser, der sich noch weiter über psychologische Grundlagen und Konzepte von Aufmerksamkeit und Konzentration bzw. Konzentrations­schwierigkeiten informieren möchte, auch auf die Arbeiten von Berg(1987, 1991) sowie auf die des leider kürzlich verstorbenen Langhorst(1990) hinge­wiesen. Weitere Empfehlungen enthal­ten die folgenden Artikel dieses Heftes.

Erich Kurth

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