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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Die Levanaschulen in Nürnberg Eine Programmschrift von Jan Daniel Georgens aus dem Jahr 1865

Von Reinald Zuleeg

Es wird ein bisher unbekanntes Dokument von Jan Daniel Georgens, dem Mitbegründer der ersten systematischen Heilpädagogik, der Fachöffentlichkeit zugänglich ge­macht. Während seiner Zeit in Nürnberg von etwa 1865 bis 1867 konzipierte Georgens das Programm seiner Levanaschulen als Einrichtungen, die Kindergarten, Volksschule und Erzieherinnenschule umfaßten. Auf die Weiterentwicklungen der Ideen von Fröbel und Pestalozzi innerhalb eines Schulkonzepts wird aufmerksam gemacht. Die in der Schulprogrammatik der Levanaschulen vorge­sehene Aufnahme behinderter Kinder in diese besondere, vom Grundsatz der Arbeitsschule geprägten Volksschule in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist bemerkenswert. Die Hilfsschule als besonderer Zweig der Volksschule hat die frühen arbeitsschulischen Akzente der Levanaschulen nicht aufgenommen.

A so far unknown document by Jan Daniel Georgens, the co-founder of the first systematic remedial education, is opened to a special public. While working in Nuremberg from about 1865 until 1867 Georgens designed the pro­gramme of his Levana school system. It was conceived as an institution including kindergarden, elementary school and a place for training governesses. Some further development of the pedagogic ideas of Fröbel and Pesta­lozzi in the Levana school conception is pointet out. Note­worthy is the fact that according to the Levana edu­cational conception handicapped learners in the middle of the 19th century were explicitly admitted to those special schools the basic principles of whichwere governed bythe root ideas of learning by doing. The Hilfsschule, however, a type of school which later on worked as a special branch of the elementary school, did not adopt the early Levana school principles of learning by doing.

Jan Daniel Georgens kommt in der Ge­schichte der Heilpädagogik das Verdienst zu, gemeinsam mit Heinrich Marianus Deinhardt ein System der Heilpädagogik als speziellen Zweig der Pädagogik be­gründet zu haben(Georgens& Deinhardt, 1861/63). Obwohl in weiteren Gesamt­darstellungen der Heilpädagogik das Werk von Georgens und Deinhardt kaum rezipiert worden ist(z.B. bei Heller, 1904), findet es heute wieder größere Beach­tung(Möckel, 1988).

Während seines Aufenthaltes in Wien von 1852 bis 1865 gründete Georgens die Heil- und PflegeanstaltLevana, eine Anstalt, in der hauptsächlich geistig be­hinderte Kinder unterrichtet und erzogen wurden(Selbmann, 1982). Wegen des Rückganges der Schülerzahl, Unstim­migkeiten mit seinem Kollegen Deinhardt und finanzieller Engpässe mußte Geor­gens die Heil- und Pflegeanstalt in Wien

aufgeben. Er siedelte 1865 mit seiner Le­bensgefährtin Jeanne Marie von Gayette nach Nürnberg über. Dort gründete er die Levanaschulen in Nürnberg, deren bis­her unbekanntes pädagogisches Profil nunmehr als Programmschrift vorliegt. Hier vorgelegt wird die erste Auflage aus dem Jahr 1865(Fundort: Stadtbibliothek Nürnberg, Nor 783). Spätestens 1867 er­schien eine erweiterte zweite Auflage, in der die weiter ausgebaute Elementar­schule vorgestellt wurde.(Fundort: Staatsarchiv Coburg, MinU 421).

Am Beginn seiner Ausführungen wandte sich Georgens scharf gegen das öffentli­che Schulwesen, daszu den Bedürfnis­sen der kindlichen Seele in vollem Wi­derspruche stehe. Das dort geübteAb­richtungsgeschäft sei einraffinirter Betrug auf Kosten der Kinder. Georgens Kritik richtete sich gegen einen Unter­richt, der sich einseitig auf intellektuelle

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIII, Heft 1, 1992

Lehre und moralisierende Belehrung gründete und Elemente der Bewegung, Handarbeit und der Ästhetik völlig ver­nachlässigte. Bewußt gegen die Lern­schule setzte er sein Konzept der Levana­schulen. Den BegriffLevana nahm er von Jean Paul Richter auf(Richter, 1806). Äußerlich betrachtet faßten die Levana­schulen verschiedene Bildungseinrich­tungen zusammen. Sie bestanden aus dem Kindergarten, der später dreistufigen Elementarschule(Volksschule) und ei­ner Schule für die Frauenarbeit. In ihrer Programmatik nahmen sie vornehmlich Ideen von Pestalozzi und Fröbel auf und führten sie weiter. Zunächst war die kon­sequente Weiterführung und Variation der Kindergartenpädagogik in der Ele­mentarschule kennzeichnend. Dies ging über die Intentionen Fröbels hinaus. Die Stundentafel der Elementarschule war durch einen hohen Anteil eines prakti­

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