Reinald Zuleeg*» Die Levanaschulen in Nümberg
schen Arbeitsunterrichts geprägt. Nur am Vormittag wurden die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens in Fachstunden gewürdigt. Die Vorbemerkungen und verstreute Hinweise in der Programmschrift deuten auf gesamtunterrichtliche Verfahren hin. Wie konsequent Georgens den Arbeitsschulgedanken aufgriff und unterrichtlich umsetzte, macht ein Vergleich mit den Stundentafeln der späteren Münchener Arbeitsschulklassen deutlich(vgl. Kerschensteiner, 1953, 123 ff.). Die Schule für die Frauenarbeit hatte zwei Aufgaben. Der erste Aspekt entsprang der Frauenbewegung, in der Georgens’ Lebensgefährtin Jeanne Marie von Gayette sich engagierte und die auf eine Erhöhung der Wertschätzung der Frau in Familie und Gesellschaft gerichtet war. Der zweite Aspekt lag im Gedanken einer Weiterführung der Lehr- und Lernformen der Levanaschulen im häuslichen Bereich, dessen erstrangige Bildungswirksamkeit von Pestalozzi hervorgehoben wurde. Hierfür haben Georgens und von Gayette zahlreiche Anregungen geliefert(Selbmann, 1982).
Unter Punkt 8 der Aufnahmebedingungen für Kindergarten und Elementarschule war ausdrücklich der Hinweis verankert, daß auch“schwächliche”,
Literatur
“schwachbegabte” und in den öffentlichen Schulen“zurückbleibende” Kinder aufgenommen wurden. Diese weit vor der Gründung der ersten Hilfsschulen bewußt ausgesprochene Annahmebereitschaft für behinderte Kinder ist ein weiteres bemerkenswertes Element der Levanaschulen. Bekannt ist, daß Georgens in seiner Heil- und Pflegeanstalt in Wien auch nichtbehinderte Kinder unterrichtete(Selbmann, 1982). Wegen des kurzen Bestehens der Levanaschulen in Nürnberg—- Georgens siedelte Ende 1867 nach Berlin um— ist leider keine Beurteilung über ihre Wirksamkeit für einen geeigneten Unterricht mitlernschwachen Kindern möglich, zumal auch in den Akten des Stadtarchives Nürnberg keinerlei Berichte erhalten sind.
Auf die weitere Entwicklung der Volksschule und auf die Konzeptionen der spätere Hilfsschule übten die Levanaschulen kaum Einfluß aus. Die öffentliche Volksschule behielt auch nach der Reichsgründung und den daraufhin erlassenen Volksschulgesetzen das Gesicht der reinen Lernschule und konnte zunehmend weniger ihre Schüler erfolgreich ansprechen(Zuleeg, 1991). Auch die Hilfsschule, die man ihrer Intention nach zwar als Vorläufer der Reformpädagogik ansehen kann(Möckel, 1981),
war in ihrem Alltag faktisch und folgenreich dennoch auf die Volksschule fixiert. Auf die Notwendigkeit der Reform des Erstunterrichts in der Volksschule im Sinne Fröbels und Pestalozzis wurde auch später hingewiesen:“Außerdem sollte man der Reformbedürftigkeit des Unterrichts im ersten Schuljahr etwas mehr Aufmerksamkeit widmen und insbesondere von Pädagogen wie Pestalozzi und Fröbel, wie von der Psychiatrie für den ersten Unterricht etwas mehr lernen; denn wir sind überzeugt, daß bei einer besseren Ausgestaltung des Unterrichts in den ersten Schuljahren nach den Forderungen einer wissenschaftlichen Pädagogik einerseits und andererseits nach den Bedingungen, welche die Hygiene für eine gesunde Entfaltung von Körper und Geist stellt, manches Kind vor einer psychopathischen Minderwertigkeit bewahrt bleiben würde und dann einer solchen Hilfsschule fernbleiben könnte” (Trüper, 1896, 62).
Die Levanaschulen in Nürnberg begegnen uns als entschlossener Alternativentwurf zur Lernschule und als Vorentwurf eines reformpädagogisch akzentuierten Schulkonzepts, als eine besondere Volksschule.
Georgens, J.D.& Deinhardt, H.M.(1861, 1863). Die Heilpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Idiotie und der Idiotenanstalten. 2 Bände, Leipzig: Fleischer.
Heller, Th.(1904). Grundriss der Heilpädagogik. Leipzig: Engelmann.
Kerschensteiner, G.(1953). Der Begriff der Arbeitsschule. München: Oldenbourg, 10. Aufl.
Möckel, A.(1981). Die besondere Grund- und Hauptschule. Heidelberg: Schindele, 3. Aufl.
Möckel, A.(1988). Geschichte der Heilpädagogik. Stuttgart: Klett-Cotta.
Anschrift des Verfassers: Dipl.-Päd. Reinald Zuleeg Holzapfelshof 8
D-8804 Dinkelsbühl
Richter, J.P.F.(1806). Levana oder Erzieh-Lehre.
Selbmann, F.(1982). Jan Daniel Georgens. Leben und Werk. Giessen: Institut für Heil- und Sonderpädagogik.
Trüper, J.(1896). Eine neue Hilfsschule für schwachbegabte Kinder. Die Kinderfehler, 1, 61—62.
Zuleeg, R.(1991). Schwachbefähigte Kinder im System der Bürgerschulen der Stadt Coburg von 1897 bis 1922. Behindertenpädagogik in Bayer, 34, 1— 15:
Auf den folgenden 4 Seiten ist die 1. Auflage als Faksimile abgedruckt.
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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 1, 1992