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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Psychomotorische Leistung bei Down-Syndrom und geistiger Behinderung: Zur Validität der differenzorientierten Betrachtung von Menschen mit

Down-Syndrom

Von Thomas Rammsayer und Arno Koch

In einer Untersuchung zur psychomotorischen Leistung wurden jeweils 30 Versuchspersonen mit Down-Syndrom (DS) und geistiger Behinderung(GB) mittels einer visu­ellen Wahl-Reaktionszeitaufgabe untersucht. Beide Ver­suchsgruppen waren hinsichtlich Alter, Geschlecht und geistiger Leistungsfähigkeit balanciert. Nur für die DS­Gruppe mit schwerem Behinderungsgrad konnte eine deutlich schlechtere psychomotorische Leistung nachge­wiesen werden, die sich sowohl in einer langsameren Ausführungszeit als auch einer höheren intraindividuellen Variabilität im Vergleich zur entsprechenden GB-Ver­gleichsgruppe manifestierte. Die Ergebnisse der vorlie­genden Studie sprechen gegen eine spezifische psycho­motorische Beeinträchtigung beim DS, wie sie von diffe­renzorientierten Ansätzen nahelegt wird.

In a study on psychomotor performance, 30 Down syn­drome subjects(DS) and 30 mentally retarded subjects (MR) matched for sex, age, and intellectual ability divided into a mild, moderately ‚and severely handicapped group ‚were tested by means of a visual choice-reaction time task. Substantial differences in psychomotor perfor­mance between DS and MR subjects were observed only for the severely handicapped DS group as compared to the respective MR group, with severely handicapped DS subjects showing a significantly slower execution time and a more pronounced within-subject variability. These findings argue against the notionof a specific psychomotor impairment inDS subjects as put forward by the difference positions in mental retardation.

Bei einem geschätzen Anteil der Men­schen mit geistiger Behinderung von weniger als 0.5% der Gesamtbevölkerung (Thimm 1990) und von 0.6% im Schul­alter(Deutscher Bildungsrat 1973), ist das Down-Syndrom(DS) mit einer Präva­lenz von 1.0bis 1.5 auf 1000 Lebendgebo­rene(Zigler& Hodapp 1991) eine der häufigsten nach Ätiologie abgrenzbaren Formen der geistigen Behinderung. Aus differenztheoretisch orientierter Sicht (vgl. Zigler& Balla 1982) scheint es sich bei Menschen mit DS um eine homogene Gruppe mit spezifischen Defiziten zu handeln, wobei je nach Ansatz unter­schiedliche Leistungsschwächen hervor­gehoben werden(Ellis 1982). Da das DS als eine spezifische Form der geistigen Behinderung auf Grund äußerer Erschei­nungsmerkmale relativ sicher und ein­

deutig diagnostizierbar ist, liegen seit der Erstbeschreibung von J. Langdon H. Down im Jahre 1866(vgl. Down 1966) eine Fülle von Arbeiten vor, in denen neben Besonderheiten im Verhalten auch Auffälligkeiten in körperlichen Merk­malen beschrieben werden. Nach Cole­man(1978) ist die Zahl der körperlichen Anomalien, die mit dem DS einhergehen können auf mehr als 300 klinische Zei­chen angewachsen. Einige dieser körper­lichen Merkmale, dazu gehören u.a. die flache Nasenwurzel, schräg gestellte Lid­achsen, Epikantus, Brachyzephalie, der kurze Nacken sowie der weite Abstand zwischen der 1. und 2. Zehe(Neuhäuser 1990), sind nach Pueschel(1982) bei 50 bis 90% aller Menschen mit DS zu fin­den. Da einerseits keines dieser Merkma­le bei allen Menschen mit DS beobachtet

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 2, 1992

werden kann, andererseits aber viele der Anomalienauch bei Menschen mit nor­malem Chromosomensatz zu finden sind, kann es nach Pueschel(1982) nicht zuläs­sig sein, auch nur eine dieser Anomalien als pathognomonisch für die Chromoso­menanomalie, wie sie beim DS gegeben ist, zu betrachten. Neben den Abweichun­gen in körperlichen Merkmalen wurden bereits von Down(1866) spezifische Lei­stungsschwächen mit dieser Behinderung in Verbindung gebracht, wie beispiels­weise die breite und verwaschene Spra­che und die unterdurchschnittliche mo­torische Koordinationsfähigkeit. Die frü­heste Arbeit, die die motorische Entwick­lung von Kindern mit DS beschreibt, stammt wohl von Brouseau& Brainerd (1928). Im Unterschied zu Nichtbehinder­ten, soBrouseau& Brainerd(1928), zeich­

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