Petra Bee-Göttsche+ Prävention und Therapie von LRS
ken, mit der Kinder Lesen lernen, sondern später zusätzlich noch durch die Behinderung des Satzverständnisses auftreten(vgl. Hulme, 1988; Stanovich, 1985, Mann et al., 1989). Da Wissen mit den höheren Klassenstufen zunehmend über Schrift/Sprache vermittelt wird, können Schwierigkeiten mit dem Verständnis von Instruktionen(Textaufgaben) und Informationsdefizite den Abstand zu den anderen in der Klasse kontinuierlich wachsen lassen. Dies alles sind zwingende Argumente, die auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Intervention hinweisen.
Ein hier angesprochenes methodisches Problem ist das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis. In der Ausbildung von Psychologen/Pädagogen werden zwar viele Theorien vermittelt, allerdings dann später bekannterweise nur wenig Gebrauch davon gemacht, wenn es um die Planung therapeutischer Intervention geht. Eine Ursache hierfür mag sein, daß an den Hochschulen den Studierenden kein Konzept für die Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis an die Hand gegeben wird. Die Tendenz geht deshalb eher dahin, auf Behandlungstechniken als auf theoretische Erkenntnisse zurückzugreifen. Wenn jedoch Theorien über zugrundeliegende Ursachen unberücksichtigt bleiben, dann
Literaturverzeichnis
kannerst beim Vorliegenernsthafter Symptome und an ihnen kuriert werden. Damit wird viel Zeit verschenkt.
Wenn wie hier die effektivste Art der Therapie in einer Umsetzung theoretischer Erkenntnisse gesehen wird, so führt das zu dem nächsten Problem, daß auf Theorien zurückgegriffen wird, die oft noch nicht vollens ausgereift sind. Dies setzt die Bereitschaft voraus, therapeutische Strategien fallen zu lassen, wenn die Erkenntnisse wachsen. Ein Beispiel für diese Notwendigkeit findet sich beim Thema LRS: Das Forschungsinteresse vergangener Tage hinsichtlich dieses Problems war hauptsächlich auf die visuelle Anforderung beim Schriftspracherwerb gerichtet: LRS wurde auf Defizite im visuellen Bereich zurückgeführt. Damit wurde in der Therapie folgerichtig auf Programme wie die FrostigMaterialien gesetzt, welche die visuelle Wahrnehmung fördern sollten.
Wie jedoch die Untersuchungen in Folge zeigten, war für Kinder mit visuell-motorischen oder visuellen Wahrnehmungsdefiziten das Risiko von LRS nicht gröBer als für alle andere(vgl. Robinson& Schwarz, 1973). Selbst das legendäre Buchstabenvertauschen, das als der Indikator für LRS gewertet wurde, entpuppte sich als typischer Fehler aller Anfangs
lesenden(vgl. Mann, Tobin& Wilson, 1987). Nur selten konnten im Einzelfall Schriftsprachdefizite als Problem bei der visuellen Verarbeitung ausgemacht werden(vgl. Stanovich, 1985; Vellutino, 1979). Wie in jüngeren Untersuchungen gezeigt werden konnte, können für die Probleme beim Schriftspracherwerb vor allem Defizite bei den Sprachverarbeitungsprozessen verantwortlich gemacht werden. Messungen dieser Fertigkeiten hingen enger mit der Leseleistung zusammen als Messungen visueller, anderer kognitiver Fertigkeiten oder des IQs (Überblicksreferate: Mann 1984; Stanovich, Cunningham& Freeman, 1984). Diese Ergebnisse sollten nun Konsequenzen für die Praxis der Intervention nach sich ziehen. Wenn Kinder diese ganz spezifischen Probleme mit der Sprache haben, dann muß das Training hier ansetzen und sich z. B. ganz speziell auf das sprachliche Gedächtnis(vgl. Bee-Göttsche, unveröff. Materialien) oder phonemische Bewußtheit(vgl. Bee-Göttsche, 1990b) konzentrieren. Kreativität und Einfallsreichtun sind hier gefragt, um die Kinder nicht mit einem bloßen Funktionstraining zu langweilen, sondern ihnen die Möglichkeiten unser Sprache“ans Herz zu legen”.
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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII Heft 2, 1992