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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Reden über Euthanasie Ein Literaturbericht

Von Michael Schwager

Der von Hegselmann und Merkel herausgegebene Sam­melbandZur Debatte über Euthanasie wird als Mög­lichkeit einer Zwischenbilanz des bisherigen Verlaufs der Debatte angesehen, welche gerade auch in Hinsicht auf die problematischen Argumentationsstrategien vieler Behindertenpädagogen notwendig ist.

The bookZur Debatte über Euthanasie, edited by Hegselmann and Merkel, opens the chance to make an interim stocktaking, which is necessary regarding the problematic strategies of argumentation, which often dominate in the field of special education.

Nach einer inzwischen nahezu unüber­schaubaren Flut von Schriften gegen Peter Singer und gegen die von ihm vermeint­lich oder tatsächlich vertretenen Auffas­sungen zur Euthanasie-Problematik, ha­ben sich jetzt Singer selbst und seine Ver­teidiger zu Wort gemeldet. Die Rede ist von einem von Rainer Hegselmann und Reinhard Merkel herausgegebenen Sam­melbandZur Debatte über Euthanasie, der gerade auch in der Behindertenpäd­agogik den Anlaß für eine Zwischenbilanz und für eine Überprüfung von Grundan­nahmen und Argumentationsstrategien bieten kann.

Bereits die Charakterisierung der Au­toren als Verteidiger Singers ist gerade auch angesichts der heftigen und seine Argumente häufig überlagernden Kon­troverse um Fragen der Euthanasie zu­mindest erklärungsbedürftig. Diese Cha­rakterisierung meint nicht,daß die Au­torinnen und Autoren alle Ansichten teilen, die Peter Singer oder Helga Kuhse vertreten(Hegselmann& Merkel 1991, 21). Sie meint vielmehr,daß alle, die hier schreiben, die Thesen Peter Singers und Helga Kuhses nicht nur für diskus­sionsbedürftig, sondern auch für diskus­sionswürdig, also im wörtlichen Sinne für diskutabel halten(ebd., 22). Die mit dem Sammelband verbundene Absicht liegt darin, trotz der vielfältigen von

massiven Störungen von Veranstaltun­gen, von Gewaltandrohungen bis hin zu den eigenartigen Umständen der Beset­zung einer Stelle für angewandte Ethik an der Universität Hamburg reichenden (ebd., 7ff.; Singer 1991a, 313ff.) Pres­sionsversuche einen vernünftigen Zugang zu den Thesen Singers und im Weiteren zu den aktuellen Varianten der Euthana­sie Debatte zu finden.

Verschiedene Aspekte der Debatte

Umdiesen Zugang zu ermöglichen, schla­gen Hegselmann und Merkel vor, drei, sich in der Vergangenheit vielfach über­lagernde Aspekte der Debatte über Eu­thanasie zu unterscheiden: Dies ist zum einen der inhaltliche Aspekt, wel­cher sich darin ausdrückt, daß von Geg­nern einer wie auch immer verstandenen Euthanasie vielfach mit einem absoluten Tötungsverbot argumentiert wird. Dies­bezüglich läßt sich aber darauf verwei­sen, daß das Tötungsverbot beispiels­weise hinsichtlich des Tyrannenmordes, der Notwehrtötung und bestimmter For­men der passiven Sterbehilfe relativ un­umstritten außer Kraft gesetzt wird(Heg­selmann& Merkel, 1991, 16). Nimmt man die umstrittenen Fälle der aktiven

Sterbehilfe, der Abtreibung, der sog. ver­brauchenden Embryonen-Experimente und des Suizids hinzu, dann ergibt sich eine Fülle von Situationen, in denen die Absolutheit des Tötungsverbotes in Fra­ge gestellt wird. Wenn man nun die Be­rechtigung zumindest einer der genann­ten Einschränkungen des allgemeinen Tötungsverbotes anerkennt, zugleich aber trotzdem die Allgemeinheit dieses Ver­botes postuliert, oder wenn man nur eini­ge dieser Einschränkungen akzeptiert und andere(wie z.B. Euthanasie) nicht, dann ergibt sich unter dem Gesichtspunkt ei­ner Begründung der so vertretenen Posi­tion ein Inkohärenzverdacht(ebd., 16). Um diesem Verdacht zu entgehen, bleibt nur die Alternative, entweder keine der genannten Einschränkungen zu akzep­tieren undein allgemeines Tötungsverbot zu postulieren, oder die Allgemeinheit des Tötungsverbotes einzuschränken. Die inhaltliche Fundierung der erstgenannten Position macht abervermutlich meta­physischreligiöse Annahmen erforder­lich(ebd., 18), und sie ist zudemfür die meisten Menschen aus dem einen oder anderen Grund inhaltlich unakzeptabel (ebd., 17). Wenn allerdings abgesehen von Fragen der Akzeptabilität auch die Möglichkeit einer metaphysisch-religiö­sen Fundierung eher pessimistisch ein­geschätzt wird, dann bleibt nach Auffas­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVIIL Heft 2, 1992