Leipziger Lerntest— Diagnostisches Programm zum begriffsanalogen Klassifizieren(DP-BAK)
Aufbau und Konstruktionseigenschaften
Von Jürgen Guthke, Petra Wolschke, Klaus Willmes und Walter Huber
Der Test zielt darauf ab, bei Kindern im ersten Schuljahr Auffälligkeiten des kognitiven Lernens zu erfassen. Gefordertwirdbegriffliches Klassifizieren von geometrischen Figuren, wobei abgestuft und gezielt Hilfen angeboten werden. Mit dem Test wurden 153 Kinder untersucht. Die Hilfensummenwerte wurden durch verschiedene statistische Verfahren analysiert(Permutationstest, Clusteranalyse, multidimensionale Skalierung, Partial Credit Analyse). Die Gliederung in Untertests mit steigender Komplexitätder Anforderungen, die Unterscheidung von Trainings- und Kontrollaufgaben sowie die Abstufung der Hilfen konnte empirisch abgesichert werden.
The test aims at assessing retardation of cognitive learning in first grade children. All test items require conceptual classification of geometric forms. On failure, the children are given a series of hints needed for a correct solution. The test was administered to a group of 153 children and the amount of aids was analysed using several statistical procedures(Randomization Tests, Cluster, Smallest Space and Partial Credit Analysis). Thereby we were able to demonstrate empirically the increasing complexity of task demands across subtests, the distinction between training and control items as well as the graded sequence of hints.
Einleitung
In den 60er und 70er Jahren wurde in Europa(Guthke 1972; Klein 1978; Kalmykowa 1975), inden USA(Budoffet al. 1971) und Israel(Feuerstein 1972) eine Alternative bzw. Ergänzung zum herkömmlichen Intelligenzstatustest vorgeschlagen, die Guthke(1989) mit dem Begriff“Lerntest” terminologisch vom Statustest abgrenzte. Im Englischen sind die Bezeichnungen“Dynamic Learning” (Lidz 1987) und“Learning Potential Assessment”(Hamers, Sijtsma& Ruijfssenaars 1992) gebräuchlich. Die Ansätze zur Entwicklung von Lerntests nehmen vorwiegend Bezug auf die in den 30er Jahren entwickelte Lerntheorie von Wygotski(1934, 1964).
Bisherige Untersuchungsergebnisse belegen vor allem im unterdurchschnittlichen Intelligenzbereich und hier besonders bei der Abgrenzung von psychosozial bedingten, reversiblen Entwicklungsrückständen und neuropsychologisch bedingten Intelligenzschwächen die
Überlegenheit des Lerntests gegenüber herkömmlichen Statustests(Guthke 1980; Roether 1984; Iwanowa 1973). Nach Flammer und Schmid(1982) haben Lerntests ihre besondere Bedeutung bei sehr unterschiedlichen bzw. vor allem bei irregulären Lernbedingungen in der Entwicklung des Kindes. Kritisch wird jedoch an den bisherigen Lerntests bemerkt, daß diese in ihrem inhaltlichen Aufbau oft nicht genügend theoretisch fundiert sind. Insbesondere fanden entwicklungs- und denkpsychologische Konzepte wenig Beachtung bei der Testentwicklung. Die bisherigen Lerntests waren noch zu sehr auf eine Lerngewinndiagnostik bezogen und ermöglichen kaum eine qualitativ orientierte Lemprozeßdiagnostik.
Die Forschergruppe der Leipziger Universität um Guthke hat versucht, in der neuen Lerntestvariante Diagnostisches Programm“Begriffsanaloges Klassifizieren”(DP-BAK) zumindest einige dieser Kritikpunkte zu überwinden(Guthke und Wohlrab 1982). Die Itemkonstruktion
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 4, 1992
des DP-BAK ist theoretisch fundiert. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Verfahrens sind Anforderungen zur Begriffsbildung. Begriffsbildungsprozesse haben für die kognitive Entwicklung von Kindern eine besonders große Bedeutung(vgl. Nickel 1984, Hoffmann 1986; Michalski 1988).
Im Alter von 6 bis 8 Jahren verfügt das Kind mehr und mehr über hinreichend differenziertes Konzeptwissen, um logische Begründungen von kausalen Erklärungen zu unterscheiden. Das Kind beginnt, sich den Verlauf seines Denkprozesses bewußt zu machen und die Dinge logisch nach Art und spezifischen Eigenschaften zu definieren(vgl. Piaget 1974).
Das Kind entwickelt sein begriffliches Wissen vorwiegend beim Sortieren und Klassifizieren. Es lernt dabei, die für eine Klasse von Objekten relevanten Merkmale zu identifizieren und miteinander zu verknüpfen. Allmählich und individuell unterschiedlich werden Regeln und Strategien der Entscheidungsfindung und
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