Marcus Hasselhorn& Claudia Mähler
» Lernkompetenzförderung bei„„lernbehinderten‘ Kindern
nen“(S. 14) nicht unterschätzt werden. Die metakognitiven Ansätze sind wenig geeignet, eine solche Wissensbasis aufzubauen; hier bedarf es eher eines übungsintensiven und remedialen Unterrichts. Zweitens sind ohne ein„großes Maß an spontaner Lernmotivation und davon abhängiger persönlicher Anstrengung‘(Weinert, 1988, S. 14) die beabsichtigten Lernund Leistungssteigerungen nicht zu erzielen. Die vielleicht wichtigste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe der(individuellen) Förderung lernbehinderter Kinder besteht daher in der Vermittlung subjektiver Erfolgserlebnisse bzw. in der Motivierung der Kinder für das Lernen. Drittens ist der gegenwärtige Kenntnisstand über die nachhaltigen Wirkungen metakognitiver Trainings eher bescheiden. Dies gilt für den Nachweis tatsächlicher Leistungsverbesserungen, für die Frage nach den durch das Training ausgelösten innerpsychischen Veränderungen und für die Frage nach den Gründen für die in bisherigen Untersuchungen so häufig zu
findenden großen interindividuellen Dif
ferenzen in der Trainingseffektivität.
Die nachgewiesenen Transferwirkungen sind begrenzt
Die praktische Bedeutung von Trainingsprogrammen hängt in erster Linie von ihrer Effektivität ab. Wie wir an den Beispielen der Ansätze von Brown& Palincsar(1987) und Lauth(1988) gezeigt haben, zeichnen sich metakognitive Förderprogramme gerade durch ihre nachgewiesene Effektivität aus. Dennoch sollte das gegenwärtig erzielbare Ausmaß dieser Effektivität nicht überschätzt werden. Obwohl bisweilen so beeindrukkende Transferwirkungen wie das Aufholen eines zwei- bis dreijährigen Rückstandes im Leseverständnis berichtet werden(vgl. Palincsar& Brown, 1984), sind die Effekte in der Regel nicht so stark, daß es zu einer Leistungsegalisie rung zwischen Lernbehinderten und Normalschülern kommt(Bauer, 1987, S.65 f.). Auch bei der bereits referierten Evaluationsstudie von Lauth(1988) werden nur begrenzte Transferwirkungen
erzielt. So führten z.B. in der einen Studie verbesserte metakognitive Fertigkei
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
ten der trainierten Kinder nicht zu einer Leistungssteigerung(im Sinne richtiger Lösungen) bei den bearbeiteten Aufgaben. Dies mag ein Hinweis darauf sein, daß Kinder, die über metakognitive Fertigkeiten verfügen, diese nicht automatisch auch selbständig nutzen bzw. daß die Anwendung dieser Fertigkeiten bei neuen, nicht direkt trainierten Aufgaben nicht notwendigerweise leistungsförderlich ist. Ein vorrangiges Ziel zukünftiger technologischer Trainingsforschung wird daher darin bestehen, nach Möglichkeiten für weitere Transfersteigerungen der Förderprogramme zu suchen.
Möglicherweise unerwünschte Veränderungen sind nicht ausgeschlossen
Theoretisch noch nicht befriedigend geklärt ist auch die Frage nach den kognitiven Veränderungen, die die skizzierten Programme bei den trainierten Kindern hervorrufen. Geht man davon aus, daß die Leistung einer Person bei einer konkreten Lern- und Gedächtnisaufgabe zu einem wesentlichen Teil das Produkt eines komplexen Systems funktional vernetzter kognitiver Komponenten ist, so stellt sich die Frage, welche Umstrukturierungen ein metakognitives Training in diesem System hervorruft. Solche möglichen kognitiven Umstrukturierungen sind u.W. bislang bei Trainingsprogrammen mit Lernbehinderten noch nicht empirisch analysiert worden. Zur Evaluation eines metakognitiven Trainings mit 12jährigen Hauptschülern haben Hasselhorn& Körkel(1986) den Versuch unternommen,, die trainingsbedingten Veränderungen im funktionalen Bedingungsgefüge verschiedener(meta)kognitiver Kompetenzen einer empirischen Analyse zu unterziehen. Dabei zeigte sich, daß sich durch das Training nicht nur einzelne Kompetenzen verändern, sondern in erheblichem Maße auch die Bedingungszusammenhänge zwischen verschiedenen Kompetenzen sowie zwischen einzelnen Kompetenzen und der Lernleistung. Wenn aber eine einzelne Lernkompetenz verbessert wird, sie jedoch gleichzeitig ihre leistungsdeterminierenden Bedingungszusammenhänge
Band XVI, Heft 1, 1990
zu anderen Teilkompetenzen und der Leistung selbst verliert, so kann man nicht mehr voraussagen, welche Leistungen durch das Training gesteigert werden und welche nicht.
Nicht alle Kinder profitieren in gleichem Ausmaß von dem Training
Die derzeitigen Grenzen metakognitiver Förderprogramme für lernbehinderte Kinder werden auch offenkundig, wenn man sich das in der Sonderpädagogik seit langem bekannte Phänomen vor Augen führt, daß Kinder in unterschiedlichem Ausmaß von demselben Training profitieren. Interindividuelle Differenzen in der Trainingseffektivität scheinen sich empirisch um so deutlicher abzuzeichnen, je größer die Distanz zwischen den Trainingsinhalten und der zur Effektivitätsanalyse verwendeten Prüfaufgabe ist(vgl. Campione& Brown, 1987). Somit besteht die Gefahr, daß mit zunehmenden Ambitionen hinsichtlich der Transferwirkungen von Förderprogrammen immer weniger lernbehinderte Kinder das erhoffte Trainingsziel erreichen. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma der differentiellen Trainingseffektivität ist die Individualisierung von Trainingsbemühungen in der Praxis. Zu einer wirklichen Lösung der Problematik sind jedoch weitere Kenntnisse darüber erforderlich, für welche Kinder welche Trainingsmaßnahmen zu vergleichsweise breiten und nachhaltigen Transferwirkungen führen. Der Phänomenbereich Lernbehinderung erscheint allerdings derzeit zu heterogen, um eine befriedigende Antwort auf die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen individuellen Personmerkmalen und der Wirksamkeit spezifischer Trainingsbausteine geben zu können. Sollten sich in der Zukunft Möglichkeiten eröffnen, die heterogene Gruppe lernbehinderter Kinder nach gut klassifizierbaren bzw.(anhand explizierter Theorien) erklärbaren„Typen der Lernbehinderung‘ einzuteilen, so ergeben sich auch für die Trainingsforschung neue Ansatzpunkte, um für immer mehr lernschwache Kinder gezielte Förderprogramme zu entwickeln.
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