Marcus Hasselhorn& Claudia Mähler
Lernkompetenzförderung bei„lernbehinderten‘ Kindern
Jede Trainingssitzung gliedert sich in vier Phasen. Zunächst werden allgemeine Erläuterungen zum Inhalt der Trainingssitzung gegeben, und der Sinn des Trainings sowie der eingeführten Handlungsstrategien wird diskutiert. Anschließend erfolgt die beispielhafte Demonstration durch den Trainer, wobei die Kinder assistieren und teilweise selbständig nach Leitfragen des Trainers handeln. Es schließt sich eine Übungsphase für die Kinder an, die der eigenständigen Aufgabenbewältigung dient. Die Sitzung endet schließlich mit einer Spielphase, die die Kinder nach eigenen Wünschen ausgestalten können.
Das Trainingsmaterial besteht zum einen aus im Fachhandel erhältlichen Spielen, in denen intellektuelle Probleme wie z.B. Zuordnungs- oder optische Diskriminationsaufgaben bearbeitet werden müssen. Zum anderen werden die zu trainierenden Strategien auf Signalkarten visualisiert, auf denen jeweils eine Handlungsstrategie(z.B.„Ich mache mir einen Plan‘,„Langsam machen“,„Überprüfen‘‘) mit Hilfe einer Comic-Figur dargestellt wird. Diese Karten sollen die Lernprozesse der Kinder durch anschauliche Vorstellungen unterstützen und einzelne Problemlöseschritte als Schlagwort zusammenfassen.
Das Training ist erfolgreich abgeschlossen, wenn die Kinder nach acht Trainingssitzungen die ihnen als„Tricks“ dargebotenen Fertigkeiten und Handlungsstrategien internalisiert haben und selbständig in verschiedenen Lernsituationen einsetzen können.
Bisherige Evaluationsergebnisse
Lauth(1988) berichtet von zwei Evaluationsstudien, in denen sein Trainingsprogramm zum einen an einer Sonderschule für Lernbehinderte, zum anderen an einer Grundschule erprobt wurde.
An der ersten Studie nahmen 31 Kinder der dritten und vierten Klassen dreier Sonderschulen für Lernbehinderte teil, die im Durchschnitt 10,5 Jahre alt waren und einen durchschnittlichen Lernbehinderten-IQ(103.8 im CFTI) aufwiesen. Die Kinder wurden von ihren
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Klassenlehrern für das Training ausgewählt; sie wiesen gravierende Lernrückstände auf und wurden überwiegend als impulsiv und hyperaktiv charakterisiert. Das Training erfolgte zweimal wöchentlich in Kleingruppen mit jeweils zwei bis vier Kindern. Während in einer Experimentalgruppe(n= 18) das beschriebene Programm durchgeführt wurde, arbeiteten die Kinder einer Kontrollgruppe (n=14) mit den gleichen Materialien (ohne Signalkarten), erhielten jedoch keine Hinweise auf Strategieanwendung oder metakognitive Kontrollprozesse. Zur Evaluation wurden verschiedene Maße des intellektuellen Verhaltens vor und nach dem Training erfaßt. Es zeigten sich vor allem im Bereich der metakognitiven Handlungsorganisation positive Trainingseffekte, die sich(a) in einer erhöhten Antwortlatenz(Reflexivitäts-Indikator),(b) einem Anstieg der Test-Intelligenz um durchschnittlich 9 IQ-Punkte,(c) einem Anstieg in der verbalen Handlungsvermittlung und(d) einem verbesserten Strategiewissen niederschlugen(vgl. Lauth, 1988, S. 162). Allerdings hatten diese Veränderungen der metakognitiven Fertigkeiten keine verbesserte Leistung bei den kognitiven Aufgaben zur Folge. Auch hinsichtlich des angestrebten Transfers auf Unterrichtssituationen und Alltagskontexte blieben nach Lehrer-und Elterneinschätzungen die erhofften Effekte aus.
Die zweite Studie zur Evaluation der Trainingseffektivität wurde mit lernschwachen Schülern einer Grundschule durchgeführt. Hierbei wurden in einem zusätzlichen Kurs die Eltern eines Teils der betroffenen Kinder als Mediatoren ausgebildet, um zu prüfen, ob durch Einbeziehung der häuslichen Umgebung die Trainingsergebnisse verbessert und der Transfer in den Alltag begünstigt wird. An der Untersuchung nahmen 22 KGrundschulkinder(Durchschnittsalter 8,5 Jahre) teil, deren Lernschwäche als„Aufmerksamkeitsstörungen mit schulischer Leistungsbeeinträchtigung“(Lauth, 1988, S. 169) charakterisiert wurde. Alle Kinder erhielten das beschriebene Problemlösetraining; die Eltern von 11 dieser Kinder nahmen zusätzlich am Mediatorentraining teil, in
HEILPÄDAGOGISCHE
dessen Verlauf sie mit der Vermittlung der metakognitiven Fertigkeiten vertraut gemacht wurden.
Lauth(1988, S. 182) interpretiert die Ergebnisse dieser Studie als erneuten Effektivitätsbeleg für sein Training. In allen erfaßten Variablen der metakognitiven Handlungsorganisation und+<egulation wurden nach dem Training bessere Werte erzielt. Wie in der ersten Studie kam es wiederum zu einem IQ-Anstieg, zusätzlich jedoch auch zu verbesserten Schulleistungen(alle Trainingskinder erreichten das Klassenziel) und zu positiven Verhaltensänderungen nach der Einschätzung von Lehrern und Eltern. Dies läßt nach Lauth(1988) auf einen Transfer des im Training Gelernten auf kognitive Inhalte in Alltagssituationen schließen. Keine Unterschiede zeigten sich allerdings zwischen der Gruppe, in der nur die Kinder trainiert worden waren, und den Kindern, deren Eltern zusätzlich am Mediatorentraining teilgenommen hatten.
Was leisten die vorliegenden metakognitiven Förderprogramme (nicht)?
Die vorgestellten metakognitiven Trainingsprogramme stellen zweifellos eine Bereicherung für die sonderpädagogische Praxis dar(vgl. Holtz(1988) und Weinert(1988) für eine ähnliche Einschätzung). Der in der Regel so schwierige Schritt von der anwendungsorientierten Grundlagenforschung zu einer praktischen Nutzung scheint hier in greifbare Nähe gerückt zu sein. Dennoch sollten wir uns vor allzu hohen Erwartungen an die Effektivität dieser Programme hüten. Ein gedämpfter Optimismus scheint aus drei Gründen ratsam zu sein. Erstens stellen die in metakognitiven Trainings vermittelten Kompetenzen zwar eine notwendige, nicht jedoch eine bereits hinreichende Voraussetzung für ein effektives Lernen lernbehinderter Kinder dar. Wie Weinert(1988) zu Recht betont, darf die zusätzliche Bedeutung„einer soliden, sicher verfügbaren und leicht zugänglichen Wissensbasis für den Erwerb neuer Informatio
FORSCHUNG Band XVI, Heft 1, 1990