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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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gegen könnte die Unplausibilität der sich ergebenden Sätze zur Überprüfung der graphemischen Analyse geführt haben.

In den Experimenten unterscheiden sich die schlechten Leser bezüglich der Kon­textnutzung nicht von den guten Lesern. Die schlechten Leser können also prin­zipiell Kontextinformation zur Kompen­sation und zur Kontrolle heranziehen. In einer normalen Lesesituation werden sie aber wohl kaum in dem Ausmaß pro­fitieren. Das Material der Experimente bestand aus sehr einfachen Sätzen und weil gewährleistet sein mußte, daß die jeweiligen subjektiven Kontexte den Sät­zen entsprachen, wurden nur die Durch­gänge berücksichtigt, die die Kinder rich­tig gelesen hatten. Dies entspricht nicht den Bedingungen beim Lesen schulischer Texte.

Zahlreiche Verlesungen und die erhöhten Anforderungen an die sprachliche Ver­arbeitung werden bei den leseschwachen Schülern oft zu einem inadäquaten, frag­mentarischen Textverständnis führen. Somit können sie Mängel beim Worter­kennen kaum durch das Verstehen des sprachlichen Kontextes kompensieren und das Entschlüsseln auch nicht fort­laufend kontrollieren. Bei ihrem Lesen begegnen sich eher zwei Defizite.

Nach dieser Einschätzung kann das Ein­beziehen des sprachlichen Kontextes als Kontrolle durchaus förderlich sein, um die Basisprozesse zu verbessern, und dies kann mitverantwortlich sein für die Un­terschiede zwischen guten und schlech­ten Lesern.

Dies wird auch in einer Untersuchung von Bowey(1986b) deutlich, bei der die un­ternormalen Lesebedingungen zustan­

Literatur

Anke Moch- Probleme leseschwacher Schüler

degekommenen Selbstkorrekturen von Viert- und Fünftkläßlern analysiert wur­den. Dabei zeigte sich, daß die Schüler die Sinnhaftigkeit auch zur nachträgli­chen Überprüfung bereits gelesener Wör­ter nutzen und zum zweiten, daß lese­schwache Schüler dies nicht in dem Aus­maß tun. Die meisten der Verlesungen, die kontextuell inkazeptabel waren bzw. sich beim Weiterlesen als inakzeptabel erwiesen, wurden von den guten Lesern nachträglich verbessert. Die schlechten Leser, die viel mehr solcher Verlesungen produzierten, korrigierten nicht so viel. Kontextuell akzeptable Verlesungen wur­den im übrigen von beiden Lesergruppen kaum verbessert. Daneben hat Bowey auch das Entdecken grammatischer Feh­ler erhoben. Zur Erinnerung sei darauf hingewiesen, daß bei dieser Aufgabe die jeweiligen Sätze vorgesprochen werden. Das Entdecken von Fehlern erscheint als notwendige Voraussetzung für Selbstkor­rekturen beim Lesen. Und erwartungs­gemäß korrelierte diese Leistung hoch mit den Verbesserungen bei kontextuell inadäquaten Verlesungen.

Zusammenfassend kann festgehalten wer­den, daß neben und unabhängig von den neu zu erwerbenden Entschlüsselungspro­zeduren die zum Verstehen führenden sprachlichen Verarbeitungsvorgänge zu den Schwachstellen des Lesens gehören. Gerade bei Schülern nach dem zweiten Grundschuljahr wirken sich sprachliche Defizite beeinträchtigend aus. Dabei ist allerdings nicht geklärt, ob bereits der Beginn des Lesenlernens durch spezifi­sche Mängel der sprachlichen Verarbei­tung behindert wird. Es spricht auch

einiges dafür, daß der Ausbau sprachli­cher Fähigkeiten über die häufige und erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Schriftsprache geschieht. Zudem kann das Verstehen als Kontrollvorgang bei der weiteren Verbesserung der graphemi­schen Entschlüsselung eine wichtige Rol­le spielen, über den leseschwache Schü­ler nicht in gleichem Maße verfügen. Hier zeichnet sich eine negativ beschleu­nigte Entwicklung ab, die noch durch weitere Folgen verstärkt wird. Lese­schwache Schüler werden innerhalb des Unterrichts im Klassenverband oft mit zu schwierigen Texten konfrontiert und diese Schüler lesen innerhalb wie außer­halb des Unterrichts erheblich weniger (vgl. Stanovich 1986b). Stanovich be­zeichnet diese Akkumulation sehr tref­fend alsMatthäus-Prinzip, nach dem jedem, der hat, gegeben wird; dem aber, der nicht hat, auch das genommen wird, was er hat(Matthäus 25,29).

Solch eine Problemanalyse kann nicht direkt in die Konstruktion spezifischer Interventionsprogramme überführt wer­den. Sie ist jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für die genauere Spezifi­zierung der Ziele von Fördermaßnah­men. Um die Akkumulation von Defi­ziten zu durchbrechen, scheint es mir sinnvoll, nicht nur bei den Entschlüsse­lungsprozeduren anzusetzen, sondern auch bei der sprachlichen Verarbeitung. Durch die Förderung sprachlicher Kom­petenzen außerhalb des Lesens könnten die Folgen der mangelnden Erfahrung im Umgang mit der Schriftsprache wenn auch nicht beseitigt, so doch entschei­dend vermindert werden.

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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989