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Sprachbehinderung), Veränderungen im Bereich der Sexualorgane(Unfruchtbarkeit, Intersexualität), geistige Behinderung, psychische Behinderung, Altersbehinderung, sonstige Andersartigkeiten (S. 37 ff.). In einem eigenen Kapitel (S. 57 ff.) werden Berichte analysiert, die— dem Grundkonzept dieser Studie Rechnung tragend— Angaben zur Behandlung von Menschen mit den aufgeführten Behinderungen enthalten.
Die theoretischen Schwierigkeiten und v.a. die erheblichen methodischen Probleme werden von den Autoren offengelegt, methodologisch reflektiert und die damit verbundenen tatsächlichen und möglichen Restriktionen im Hinblick auf den Geltungsanspruch der Auswertungsergebnisse zugegeben— wodurch die wissenschaftliche Dignität dieser Arbeit allerdings nur gewinnt. Die Studie steht in einem wohltuenden Kontrast zu den zumeist narrativen historisch-vergleichenden Arbeiten im Behindertenbereich, bei denen oft ein recht selbstbewußter Interpretationsstil mit einer nur schwach entwickelten oder gänzlich fehlenden methodologischen Sensibilität einhergeht. Erfreulich auch, daß die Autoren verführerisch naheliegende Schlußfolgerungen von den Resultaten ihrer ethnologischen Forschung auf die Lösung moralphilosophischer Probleme explizit vermeiden:„Ergebnisse eines interkulturellen Vergleichs reichen nicht zur Begründung einer bestimmten Bewertung bzw. Reaktion aus... jede Veränderung der Bewertung von Behinderung sowie der Reaktion auf Behinderte(bedarf, A. d. V.) einer moralisch-ethischen Legitimation‘(S. 108). Umgekehrt wäre allerdings in der Tat zu wünschen, daß herkömmliche ethische Legitimationsansätze in der Behindertenpädagogik unseres Landes Untersuchungen dieser Art berücksichtigen würden, um die z.Zt. außerordentlich starke, manchmal fast neurotisch wirkende Fixierung auf kulturimmanente Grundwerte zu lokkern und damit langfristig einer rationalen Diskussion solcher moralischen Wertungsfragen mehr Raum zu geben. Behindertenpädagogen jedenfalls wären gut beraten, diese Studie von Neubert & Cloerkes zur Kenntnis zu nehmen, vielleicht speziellen Aspekten, wie sie für einzelne Fachrichtungen besonders relevant sind, anhand der leicht zugänglich gemachten Quellen weiter nachzugehen und die am Ende aufgezeigten
„Perspektiven für Forschung und Praxis‘“(S. 105) ernst zu nehmen und umzusetzen.
Lauth, G.W.& Viebahn, P.(Hrsg.): Soziale Isolierung. München: Psychologie Verlags-Union 1987, 265 Seiten DM 48,—
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit einer hochaktuellen psychosozialen sowie gesellschaftlich brisanten Thematik: Der sozialen Isolierung von einzelnen Personen sowie von Teilgruppen der Gesellschaft. Die soziale Isolierung tritt über die gesamte Lebensspanne hinweg auf und ist oft mit massiven Krisen im Alltag verbunden. Die Oldenburger Arbeitsgruppe unter der Leitung von Gerhard Lauth und Peter Viebahn legt eine Übersicht über Ursachen und Interventionsmöglichkeiten von sozialer Isolation vor. Einleitend weisen die Herausgeber auf die Risiken der sozialen Isolation hin, die sie in vier Bereiche gliedern; so werden sozial Isolierte — häufiger delinquent; — sie weisen größere schulische und berufliche Schwierigkeiten auf, — sind eher von somatischen Krankheiten bedroht und — entwickeln häufiger psychiatrische Auffälligkeiten. Die Erforschung der sozialen Isolation bezieht die Analyse sozialer Netze, soCial-support-Ansätze sowie klinisch-psychologische, sozial- und umweltpsychologische Forschungsansätze mit ein. Das Buch analysiert hierzu zunächst die Vorausbedingungen der sozialen Isolierung. Hier werden distale(entferntere) und proximale(näherliegende) Vorausbedingungen zur sozialen Isolierung unterschieden. Der Leser findet hier eine fundierte Analyse gesellschaftlicher, ökologischer, sozialer und individueller Faktoren, die mit dem Entstehen sozialer Isolierung in Beziehung stehen. Die Folgen der sozialen Isolierung werden ebenfalls im zeitlichen Verlauf dargestellt. Damit legen die Autoren ein praktikables und zugleich theoriegeleitetes Konstrukt sozialer Isolierung vor. Ein zweites Theoriekapitel ist der Ableitung von Interventionsmöglichkeiten gewidmet. Diese Interventionen werden theoriegeleitet aus dem zuvor dargeleg
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989
Buchbesprechungen
ten Konstrukt entwickelt. Der Leser erhält äußerst differenzierte sowie praxisrelevante Hinweise für seine eigene Arbeit; ein sehr wesentlicher Vorteil ist, daß die Interventionen der besonderen Erscheinung der sozialen Isolierung (z.B. chronifizierte Einsamkeit, rigidisierte Verhaltensstrukturen) differenziert Rechnung tragen. Im weiteren werden ‚isolierungsgefährdete‘ Gruppen von Menschen in ihrer sozialen Situation sowie im Hinblick auf relevante Interventionsstrategien betrachtet. Hier werden in neun Kapiteln vor allem praxisrelevante Analysen sowie Interventionen abgehandelt, die zur Illustration der inhaltlichen Weite des Buches genannt werden sollen: — das Konstrukt soziale Isolierung(verfaßt v. d. Herausgebern) — Messung und Erfassung sozialer Isolierung(Mischke) — Intervention(Lauth) — Alte Menschen(Müller& Müller-Andritzky) — Schüler(Viebahn) — Studenten(Viebahn) — Alleinerziehende(Viebahn) — Strafgefangene(Jesse) — Migranten(Meinhardt) — Chronisch Kranke und Behinderte (Lauth) — Psychiatrische Patienten(Rieforth) — Arbeitslose Menschen(Müller& Noll). Diese Kapitel besitzen einen inhaltlich übereinstimmenden Aufbau: Sie behandeln die geschichtlichen Aspekte der jeweiligen Gruppe, analysieren die besondere Problemsituation und leiten spezifische Interventionen ab. Dabei werden die gesellschaftlichen(politischen) Aspekte nicht vernachlässigt. Das Hauptziel besteht darin, dem Leser eine Analyse der sozialen Situation dieser Gruppen zu liefern und aus dieser Analyse praxisrelevante Interventionen innerhalb eines Mehrebenenansatzes abzuleiten. Dies gelingt den Autoren sehr gut, wiewohl zwei Kapitel etwas hinter dem Gesamtstandard zurückstehen. Das 25seitige Literaturverzeichnis gibt nochmals einen umfassenden Überblick über die in diesem Bereich relevante Literatur. Das Buch vermittelt eine sehr gute Basis zunächst für die Analyse und Erfassung sozialer Randständigkeit. Der Leser erwirbt mit der Verarbeitung des Buches die Fähigkeit, Querbezüge zwischen den auf den ersten Blick unterschiedlichen
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