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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Behindertes Kindgefährdete Familie? Eine kritische Analyse des Forschungsstandes

Von Angelika Engelbert

Die Familien behinderter Kinder sind in einem ganz besonderen Maße gefordert. Sie sollen den besonde­ren Bedürfnissen der Kinder Rechnung tragen, sie fördern oder gar‚therapieren, dabei aber gleichzei­tig auch all die Leistungen erbringen, die den Fami­lien heutzutage ganz allgemein abverlangt werden. Können sie dies schaffen? Sind sie aufgrund der enor­men Belastungen in besonderem Maße ‚gefährdet? Und vor allem: Unter welchen Bedingungen bewälti­gen sie ihre anspruchsvolle Aufgabe? Diesen Fragen soll der Beitrag nachgehen. Verfügbare Forschungs­ergebnisse über die Familienbeziehungen, über For­men der Problembewältigung, über die Umweltbezie­hungen und über die unterstützende Funktion insti­tutioneller Hilfen für Familien mit behinderten Kin­dern werden hierfür ausgewertet. Resultat dieser kri­tischen Literaturanalyse ist, daß die erzielten Ergeb­nisse durchaus widersprüchlich sind, daß über die Be­dingungen einer erfolgreichen Bewältigung oder aber einer langfristigen Überforderung der Familien kaum und vor allem keine methodisch abgesicherten Er­kenntnisse vorliegen und daß ganz besonders die Be­deutung der Inanspruchnahme und der Umsetzung institutioneller Hilfen für die Familien mit behinder­ten Kindern kaum untersucht wurden,

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Families with a handicapped child are confronted with a specific set of tasks. They shall meet the spe­cial needs of the children, they shall care for them and promote them. At the same time these families are challenged to fulfill also all those achievements, which are expected of a family in general. Is that possible? Are families with a handicapped childin danger because of the enormous stresses which they underlie? And above all: under which condi­tions are they able to master their pretentious task? These questions should be traced with this contribu­tion. Available results in empirical research about the family relations, about the kind of problem solv­ing, about relations to the environment and about the supporting functions of institutional help for families with a handicapped child are evaluated. The result of this critical literature analysis is, that the findings are in a way contradictious and that we have only little insight into the conditions of suc­cessful problem-management. There is especially a lack of research about the importance of getting and using institutional help for families with a handicap­ped child,

Die Lebenssituation der meisten behin­derten Kinder ist durch die Familie ge­prägt, insbesondere, seitdem sich in der Behindertenpolitik und Behindertenar­beit in den siebziger Jahren eine Abkehr von der bis dato präferierten Heimerzie­hung behinderter Kinder und eine Hin­wendung zur Familienerziehung vollzo­gen hat. Bezeichnend ist in diesem Zu­sammenhang die damalige Empfehlung des Deutschen Bildungsrates(1976, 105):Heimunterbringungen sind subsi­diäre Maßnahmen. Sie sollen nur dann vorgenommen werden, wenn das Ver­

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bleiben in der Familie zum Schaden für den Behinderten bzw. zu einer unerträg­lichen Belastung für die übrigen Fami­lienmitglieder würde. Diese Aufwer­tung der Familienbetreuung wird be­gründet durch die Besonderheit perso­nenbezogener Leistungen, die die Fami­lie von allen anderen Institutionen un­terscheidet(v. Ferber 1983, v. Lüpke 1977) und ist sicherlich auch vor dem Hintergrund der zu dieser Zeit geführten Heimdebatte* zu sehen.

Im Zuge der Rückverweisung der behin­derten Kinder an die Familien werden

deren Pflegeleistungen auch an profes­sionellen Standards gemessen. Eltern werden alsTherapeuten(Speck& Warnke 1983) bzw. zumindest alsCo­Therapeuten(Kluge 1981) in die För­derungsarbeit mit behinderten Kindern einbezogen. Gleichzeitig wird in der Me­dizin ein neuer psychosozialer Begriff von Krankheit diskutiert, der den sozia­len und psychischen Kontext einer Er­krankung berücksichtigen soll und die Stützung des ganzen Patienten und sei­ner Familie einschließt(vgl. hierzu Rogh­man 1981; Angermeyer& Döhner 1981).

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 2, 1989