Heft 
(2016) 101
Seite
29
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»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken« Nürnberger 29 muß, so zahle ich gern.« So scheiden sie als gute Freunde, Botho heirathet die hübsche junge Cousine und Lene findet nach einiger Zeit einen braven Mann, der sie zu schätzen weiß. Alles das, wie gesagt, unendlich einfach und alltäglich, aber was den fesselnden Reiz dieser schlichten Erzählung ausmacht, ist nicht bloß die echte Liebenswürdigkeit, welche, wie ein feiner poetischer Duft, die Haupt­gestalten umgibt, sondern vor allem die unübertreffliche Wahrheit, die Feinheit der Beobachtung und die bis in die letzten Züge treue Schilderung aller dieser Gestalten, selbst der unbedeutendsten und nebensächlichen. Wie die Menschen der Mark, vor allem die Berliner, denken, fühlen und sprechen, das ist hier mit so unvergleichlicher Wahrheit wiedergegeben, daß es ein Hochgenuß für jeden Leser sein muß. Wie ist jedes Wort, jede Wendung dieser Leute dem unmittelbarsten Leben abgelauscht, wie wahr, treu und urwüchsig! Es ist derselbe Strom einer tief eindringenden und liebevollen Beobachtung, welcher in breiterem Flusse auch in Fontanes meisterlichen Roman»Vor dem Sturm« so prächtig sich ergießt. Und das gilt nicht bloß von den Menschen aus dem Volk und dem niederen Bürger­stande, sondern mit derselben Treue sind die ritterlichen Kameraden Ba­ron Bothos, ist der stets frondirende Onkel vom Lande, der Typus eines Kreuzzeitungsjunkers, sind ferner die überlustigen»Freundinnen« der jungen Officiere geschildert. Ein Prachtstück aber ist Käthe, die junge hüb­sche Frau des Selben, in ihrer gränzenlosen oberflächlichen Schwatzhaf­tigkeit mit dem unerschöpflichen Talent,»auf angenehmste Weise nichts zu sagen« und dabei noch in ihrer Art liebenswürdig. Aber man begreift, daß Botho doch an der Seite diese munteren Plappermäulchens manchmal eine stille Sehnsucht nach der seelenvollen Wärme und dem stillen Ernst seiner Lene überkommt. Nicht minder treffend ist die Schilderung der Berliner Landschaft. Gleich im Anfang bei einem der ersten Spaziergänge des jungen Liebes­paares heißt es:»Und so sprechend, stiegen sie den niedrigen Abhang hin­auf und setzten sich, oben angekommen, auf einen hier seit letzten Herbst schon aus Peden und Nesseln zusammengekarrten Unkrauthaufen. Dieser Pedenhaufen war ein prächtiger Ruheplatz, zugleich auch ein Aussichts­punkt, von dem aus man über einen von Werft und Weiden eingefaßten Graben hin nicht nur die nördliche Häuserreihe von Wilmersdorf überblicken, sondern auch von einer benachbarten Kegelbahn-Tabagie her das Fallen der Kegel und vor allem das Zurückrollen der Kugel auf zwei klapprige Latten in aller Deutlichkeit hören konnte.« Kann man im Natur­genuß anspruchsloser sein? Aber es kommt dann auch die glücklichere Kehrseite der Berliner Umgebung zur Geltung, und die Erzählung von der Landpartie nach»Hankels Ablage« bietet dem Verfasser willkommene Ge­legenheit, jene südostwärts von Berlin sich ausdehnenden Spree-Land­schaften zu schildern, wo der breite ruhige Strom zwischen saftigen