Heft 
(2016) 101
Seite
28
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28 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes weil der Dichter uns für die alltäglichen Verhältnisse und die keineswegs ungewöhnlichen Personen aufs lebhafteste zu interessieren weiß. Die Erzählung spielt in und bei Berlin, größtentheils in den Kreisen des bescheidensten Kleinbürgerthums. Der Verfasser führt uns in eine jener kleinen Gärtnereien, wie sie am äußersten Saume der großen Stadt ein be­scheidenes und mühsames Dasein führen. Aber wir finden bei diesen ein­fachen Leuten als oft und gern gesehenen Gast einen jungen Officier von vornehmer Herkunft, den die einfache Natürlichkeit und Anmuth der Pfle­getochter Lene so zu fesseln weiß, daß er darüber das wenig Zusagende und noch weniger Passende der Umgebung völlig vergißt. Dieser Baron Botho ist so recht der Typus eines liebenswürdigen, warmherzigen, natür­lichen jungen Adeligen, wie die Mark Brandenburg sie recht oft erzeugt. Daß er sich von einem so einfachen Kinde, wie Lene ist, fesseln läßt, kön­nen wir ihm nachfühlen, denn der Dichter hat diese Mädchengestalt mit dem vollen Reiz nicht bloß jugendlicher Anmuth, sondern auch schlichter Wahrheit, Natürlichkeit und charaktervoller Festigkeit ausgestattet. Sie gehört ohne Frage zu den anziehendsten weiblichen Gestalten, die er ge­schaffen hat. Dabei ist sie nicht etwa eine jener kühlen, rein verständigen Naturen, die leicht mit den Regungen des Herzens fertig werden, sondern sie weiß warm, tief, ja leidenschaftlich zu empfinden, und sie hängt mit voller Hingebung an ihrem vornehmen Geliebten. Aber keinen Augenblick ist sie im Zweifel, daß dieses Glück nur ein vorübergehendes sein kann, ohne irgendeinen Anspruch auf Dauer. Und so ist sie denn auch ruhig und gefaßt, wie das Unvermeidliche eintritt und ihr Geliebter aus Rücksicht auf seine Familie sich bestimmt fühlt, eine hübsche reiche Cousine zu heira­then. Botho ist eben auch keine von den leidenschaftlichen Naturen, die ihre ganze Existenz für eine Empfindung einsetzen; er ist vielmehr weich und nachgiebig, vor allen Dingen aber ist er ehrlich und offen, und nicht einmal der leise Versuch einer Lüge oder einer Verschleierung trübt das reine Ver­hältniß. Und wie er der Geliebten seinen Entschluß mittheilt, da ist sie es, welche ihm die Ausführungen Desselben in hochherziger Weise erleichtert, indem sie sagt:»Ich hab es so kommen sehen von Anfang an, und es ge­schieht nur was muß. Wenn man schön geträumt hat, so muß man Gott dafür danken und darf nicht klagen, daß der Traum aufhört und die Wirk­lichkeit wieder anfängt. Jetzt ist es schwer, aber es vergißt sich Alles oder gewinnt wieder ein freundliches Gesicht. Und eines Tages bist Du wieder glücklich und vielleicht ich auch. Du hast mir kein Unrecht gethan, hast mich nicht auf Irrwege geführt und hast mir nichts versprochen. Alles war mein freier Entschluß, ich habe dich von Herzen lieb gehabt, das war mein Schicksal, und wenn es eine Schuld war, so war es meine Schuld. Und noch dazu eine Schuld, deren ich mich, ich muß es Dir immer wieder sagen, von ganzer Seele freue, denn sie war mein Glück. Wenn ich nun dafür zahlen